Im Streit um die EU-Richtlinie geht es vor allem um den Streit zweier Kapitalfraktionen. Im Folgenden soll die Lage der Urheber, der ursprünglichen Wertschöpfer und Arbeitenden stärker herausgestellt werden, als dies bei den Protesten der Netzkonsumenten und -aktivisten der Fall ist. Insofern geht es hier um das geltende Urheberrecht, vor allem um die Rolle der Verwertergesellschaften im Klassenkampf.

EU-Urheberrechtsrichtlinie

Die so genannte EU-Urheberrechtsrichtlinie will offiziell im EU-Binnenmarkt das Urheberrecht den Erfordernissen der digitalen Gesellschaft anpassen. Das EU-Parlament, das ja laut EU-Vertrag nur abstimmen, nicht verabschieden kann, hat das im März getan: die konservativen und sozialdemokratischen Fraktionen stimmten überwiegend dafür, die EL/Nord Grüne Linke, die Rechtsradikalen und auch die Kommunisten überwiegend dagegen. Die Minister der Mitgliedsstaaten, also der EU-Rat verabschiedete sie am 15. April. Auch die BRD – über allgemein gehaltene Bedenken im Koalitionsvertrag hinweg – stimmte zu.

Die Urheberrechtlinie muss binnen zwei Jahren in das jeweilige Staatsrecht umgesetzt werden, also bis April 2021; wenn nicht, könnten dann trotzdem Rechte direkt aus der Richtlinie in Anspruch genommen werden. Die Reform war seit Anbeginn 2001, besonders seit 2016, heiß umstritten – mit frappierenden Frontstellungen der Akteure. Die Gegner: die Netznutzer und netzpolitischen Aktivisten, zusammen mit den IT -Unter-nehmerverbänden Bitcom und Eco.

Die Befürworter: die Urhebergewerkschaften, also Fachbereich 8 in der ver.di, die dort angeschlossenen dju-Journalistenunion und VS (Schriftstellerverband) zusammen mit der Verlagslobby (den Großverlagen, den Medienanstalten, Groß-Musik-Labels), den Verbänden der Kreativwirtschaft – und den Verwertungsgesellschaften: VG Wort (Sprache Schrift), GEMA (Ges. für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte), GVL (für Schauspieler, Regisseure, Darsteller), VG Bild-Kunst. Also hier die Wertschöpfer/Arbeitnehmer zusammen mit ihren Verwertern/“Arbeitgebern“ – und dort, als Gegner, die Verbrauchermassen (Netznutzer) zusammen mit den IT-Verfügungsgewaltigen und der Großwerbewirtschaft. Wie das? Können nicht die Wertschöpfer/Urheber und Verbraucher/Netznutzer ihre Interessen solidarisch vertreten?

Demonstration gegen Zensur und Angriffe auf die Netzkultur

40.000 Konsumenten waren am 23. März auf der Straße, sie fürchten Zensur unter Missbrauch der neu einzurichtenden Techniken (Uploadfilter, über die wir reden werden), Sperrungen oder Verteuerungen in der aufrufbaren Angebotsmasse, Schaden für die so genannte Netzkultur, das Aus für mögliche Entwicklungen zur „open source“, also Commons, Allmende, Güterfreiheit – und sie werden als bezahlte Bots, manipulierter Tross der Digital-Giganten beschimpft (Google mit YouTube, Facebook mit Instagram und WhatsApp, Amazon, Twitter usw.).

An den Sorgen der Demonstranten ist viel dran. Aber zunächst einmal geht es nicht um die Installation einer „Zensurmaschine“, die das Internet kaputt macht, sondern um die Installation einer „Geldmaschine“ für die großen Verwerterkonzerne mit allenfalls Brosamen für die Urheber.
Für Leute wie uns ist es immer das Primäre: Arbeit muss bezahlt, Leistung muss vergütet werden. Als Materialisten sehen wir uns die wirtschaftlichen Interessen der Beteiligten-gruppen an. Es sind derer vier:

  1. die Urheber/Kreativen,
  2. die Verwerter: Verlage, Zeitungen, Medienanstalten, Filmstudios, Theater, Konzertagenturen, Musiklabels und weitere,
  3. die Digitalkonzerne, Plattform-Monopolisten, Internetplatz-Serveranbieter und Werbeträger -Amazon, Google-YouTube, Apple, Twitter und
  4. die Netz- und Suchmaschinennutzer/User, Herunterlader, Konsumenten.

Als Autor, Journalist, Musiker, Schauspieler bekomme ich von meinem Verlag, meinem Aufführungsunternehmen, mein vereinbartes Autorenhonorar (oft 8% pro Verkaufsexemplar), meine Gage u.a., für Erstverwertung. Man kann bisher dort auch selbständig – also ohne Verwertungsgesellschaft – Zuschläge für Zweitverwertung, z.B. online Zeitungsveröffentlichung, zeitversetzte Wiederholungen vereinbaren. Das taten die Unternehmen oft nicht, stellten das einfach auf ihrer Homepage in die Online-Ausgabe und ließen es auf Unterlassungs- und Schadensersatzklagen ankommen – wenn sich die von ihnen abhängigen Betroffenen so etwas gar trauten.

Das ergab die Masse der ver.di Rechtsschutz-Fälle. Die Verwerter sagten: Schaden gleich Null, eher unverdienter „Prestigegewinn“, sie haben beim Landgericht Hamburg sogar eine sog. „Medien-Ökotrophologin“ gutachten lassen, dass die Verletzten keine Kalorien verloren, sondern eher eingespart hätten. Wir, die Vertreter der ver.di Rechtsschutz-Seite, konnten aber später das Prinzip der „Lizenzanalogie“ durchkämpfen, d.h.: Was hätte für eine ordnungsgemäße Lizensierung marktüblich bezahlt werden müssen? Wir arbeiteten mit den Tabellen der sog. „Mittelstandsgemeinschaften Fotomarketing, Printmarketing u.a.“ und erreichten immerhin Nachzahlungsaufschläge zwischen 20% und 80%.

Zum Verständnis der EU-Richtlinie aber spielen die Verwertungsgesellschaften eine wichtige Rolle, also die die o.g. VG Wort, die GEMA, die GVL, VG Bild Kunst und vier andere. Sie vergeben und kassieren Lizenzen für die so genannten Zweitverwertungen. Darunter fällt eigentlich alles außer der genannten Erstverwertung: jede Kabelweiterleitung, z.B. Einspeisung über Vodafone ins Münchner Kabelnetz, Satellitensendungsrechte, Bibliotheks-, Kirchen-, Schul-, Hochschul-, Museen-, Leihgebühren, Vortragsrechte usw.

Und vor allem sind es die „Geräte- und Betreiberpauschalen“: allen Herstellern von Kopier- und Vervielfältigungsgeräten, CD-Brennern, PCs u.a. und ihren kommerziellen Betreibern wird die „Gerätepauschale“ abgeknöpft, sie macht 54% aller Einnahmen der VG Wort aus, 15% die Bibliothekspauschale von den Bibliotheken. (Über eine Zentralstelle teilen sich GEMA, VG Wort, GVL die Gebühren für die an sich freien, also erlaubten, aber dennoch vergütungspflichtigen Privatkopien.)

Die Urheber unterschreiben einen Wahrnehmungsvertrag und melden jährlich ihre Werke an. Jährlich beschließt die Mitgliederversammlung einen Verteilungsplan nach ausgefeilten Marktforschungskriterien. Von ihm profitieren als Mitglieder die großen Verlage (Burda, Bertelsmann usw.) und Medienunternehmen. Die meisten Kleinverlage und Urheber erfüllen die Voraussetzungen einer Mitgliedschaft nicht (Jahreseinnahmen, Auflagenhöhe u.ä.). Sie sind nur „Wahrnehmungsberechtigte“, die auf einer eigenen Versammlung zwei Vertreter für die Mitgliederversammlung wählen dürfen, wo die großen Verwerter dominieren; sie bekommen nur Brosamen und manchmal überhaupt keine Ausschüttung. Sie können sich bei der Rechtsaufsichtsbehörde DPMA gegen ungerechte Verteilung beschweren, was aber keinen Erfolg verspricht.

Der Clou ist, dass die Gesetze – UrhG und VerwertungsgesellschaftsG – bei immer mehr Nutzungsarten vorschreiben, dass sie nur und ausschließlich durch die Verwertungsgesellschaften treuhänderisch wahrgenommen werden dürfen, nicht durch den Urheber selbst. Diese bestehen darauf: entweder Dein ganzes Portfolio oder gar nichts. Es gibt übrigens starke Bestrebungen, überhaupt jede Onlinenutzung einzubeziehen. Hinzu kommt die gesetzliche „GEMA-Vermutung“, die die Rechtsprechung inzwischen auf alle Verwertungsgesellschaften anwendet: im Rechtsverkehr wird vermutet, dass die Gesellschaften alle Zweitverwertungsrechte geltend machen dürfen.

„Kollektive Rechtewahrnehmung“

Die Verwertungsgesellschaften rechtfertigen sich daraus, dass die Einsammlung und Verteilung der Gebühren schon technisch nur im Wege der sogenannten „Kollektiven Rechtewahrnehmung“ funktionieren kann, bei all der unüberschaubaren und verschiedenartigen Masse der Zahlungspflichtigen einerseits und Ausschüttungsberechtigten andererseits. „Kollektiv“, weil einerseits nur sie quasi-gewerkschaftlich gegenüber den großen Unternehmen mit geballter Stärke auftreten können, und „kollektiv“, weil andererseits quasi-amtlich jeder, der etwas zweitnutzt, ihnen gegenüber bei Strafe meldepflichtig ist. „Kollektiv“ und quasi-amtlich auch, weil sie – nach Abzug ihrer erheblichen Eigenkosten – an die Künstlersozialkasse (der ärmlichen Altersversorgung der selbständigen Kreativen) und bestimmte gemeinnützige kulturelle Unterstützervereine etwas abgeben muss.

Der Begriff „kollektive Rechtewahrnehmung“ klingt links und gefällt auch der Gewerkschaftsführung; sie ist mit der Führung der Verwertungsgesellschaften eng verbunden. Das Modell riecht ja ein wenig nach den Arbeiter-Unternehmer-Zusammenschlüssen des Korporatismus, lässt sich aber vom Arbeit-Kapital- Widerspruch nicht entkernen. Zunächst einmal ist es aber doch die Benachteiligung der Urheber, der die Gewerkschaft in den merkwürdigen gemeinsamen Einsatz für die EU-Richtlinie führt. Ver.di hofft, gewissermaßen als Kostgänger der starken Verwerterunternehmen (Verlage, Medienanstalten), dass diese sich damit bei den IT-Moguln, den Plattformen riesige neue Lizenzeinnahmen erzwingen, und zwar endlich in Form transparenter Rechnungsgrößen, die dann auch höhere Anteile für die vertretenen Urheber abwerfen.
Diese Gewinnerwartung ist ver.di wichtiger als die Tatsache, dass die Richtlinie andererseits einen schweren Rückschlag für einen zuvor errungenen Erfolg bringt. Auch auf gewerkschaftlichen Druck hin hatten 2015 der EuGH in Luxemburg und 2016 der BGH entschieden, dass die Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften nicht mehr Fifty-Fifty an Verlage und Urheber gehen dürften, sondern ausschließlich an die Urheber. Ein Verlagsanteil darf nur nach Vorlage eines Urhebervertrages ausgezahlt werden, der die VG ausdrücklich und beziffert hierzu ermächtigt.

Das wird nun durch die Richtlinie in §17 ausdrücklich rückgängig gemacht. Die „Vergütungen für die online-Platzierung nutzergenerierter Inhalte durch die Anbieter von Diensten der Informationsgesellschaft“ gebühren dort ausschließlich den Verlagen und sonstigen Verwertern. Nur in einem Nebensatz „sollen“ diese intern die Urheber irgendwie „angemessen beteiligen“. Solche Gummiparagrafen haben schon national zur Verarmung geführt. 60% der kreativen Solo-Beschäftigten haben Jahresumsätze von unter 17.000 €.

EU-Richtlinie als Unternehmerprojekt der Medienkonzerne

Hier sollte unsere Kritik als Linke anknüpfen, denn wir halten es mit den arbeitenden Wertschöpfern. Nach den aktuellen Urteilen, die durch die Richtlinie offen konterkariert werden, nahm der Druck der Verlags- und Medienlobby Fahrt auf, unterstützt von den GroKo-Parteien, vor allem dem CDU-Hauptberichterstatter Axel Voss, – mit verhaltener Zustimmung der Gewerkschaft, die an den neuen Lizenzeinnahmen der online-Dienste aus deren gewaltigen Werbeeinnahmen knabbern will.

Der Hauptgrund für dieses Unternehmerprojekt der Medienkonzerne – denn das war, ist und bleibt diese EU-Richtlinie – ist die maue wirtschaftliche Perspektive eines Teils von ihnen: zwar erzielt die deutsche Kultur- und Kreativwirtschaft eine Bruttowertschöpfung von 110 Mrd. € und übertrifft damit die chemische Industrie und die Finanzbranche, liegt gleichauf mit dem Maschinenbau.

Aber die Teilmärkte Presse, Film u. Buch stagnieren, mangels Innovationskraft. Die Zahl der Firmen und Beschäftigten geht zurück. Die Branche nennt Google und Facebook als Schuldige. Man will sich noch rechtzeitig an den werbewirtschaftlichen Einnahmen dieser Onlinedienste gesundstoßen.

Wie funktionieren nun die YouTube und anderen Plattformen und Serverdienstleister?

Sie stehen in der Mitte zwischen den Nutzern/Verwertern (Verlage, Medienkonzerne) und den Usern/Konsumenten/Anklickern/Herunterladern. YouTube hat riesige Speichercomputer: „Server-Farmen“ mit Milliarden Speicherchips; dafür bezahlen sie Strom, Kühlung, und stellen die Verbindung mit dem Internet her. In den Chips steht zunächst noch null. Nun kommt ein Rezo, („Die Zerstörung der CDU.“) daher: ich hab’ der Welt was zu sagen. Er dreht ein Video und speichert es bei sich als Videodatei.

Will er es der Welt mitteilen, hat er zwei Möglichkeiten: erstens: er kann selber eine Website betreiben, d.h. selber Speicherchips kaufen oder einen Speicherplatz bei einem kommerziellen Anbieter kaufen, z.B. t-Online, Strato, Mobile-Net. Er hat die eigene Kontrolle, muss aber bezahlen. Zweitens, wie Rezo: er stellt es bei YouTube ein und braucht nichts zu bezahlen. Er schickt sein Video in elektronischer Form an YouTube. Dort kommt es auf eines der Milliarden Speicherchips. YouTube sorgt durch einen Steuerungsmechanismus dafür, dass es angeklickt werden kann.

Ich, der Consumer, gebe über eine Suchmaschine „Rezo“ ein, YouTube zeigt es an. Jetzt kommt der Punkt, wo YouTube Geld verdient. Beim Klicken kommt nicht gleich das Video, sondern erst mal Werbung (Ratiopharm, Porsche usw.), von den geschalteten werbenden Firmen bezahlt. Wenn das Video zu lang ist, wird es unterbrochen: nochmals Werbung. Es besteht ein Vertrag zwischen YouTube und der werbenden Firma. Diese hat ein hohes Interesse: weil junge Leute viel mehr auf YouTube und ähnliches schauen als auf traditionelles Fernsehen und Printmedien.

YouTube besitzt ausgefeilte Algorithmen (mathematisch gesteuerte Verfahren) – darüber, wo ich als Consumer mich sonst im Internet bewege, was ich mir sonst ansehe; Kleidung, Bahn, technische Geräte, Alter, Typus, Musikgeschmack. Dann schickt YouTube die Werbung gemäß Algorithmus zielgenau (!) je nach meinen Interessen und Bedürfnissen; bei jedem einzelnen Individuum kommen völlig andere Werbe-Clips an. Deswegen zahlen die werbenden Unternehmen auch viel höhere Beträge an die Plattformen als etwa an Fernsehanstalten und Zeitungen mit ihrer richtungslosen Streuwerbung. Auf YouTube werden pro Minute 400 Stunden Videomaterial hochgeladen; der sog. Bewegtbildkonsum auf Video-Plattformen befindet sich bei unter 40-Jährigen auf Augenhöhe mit der gesamten ZDF-Senderfamilie plus ProSieben Sat1; das ist der Werbebranche Goldwert.

YouTube und die Werbe-Milliarden

Jeder hat seinen Vorteil: jeder kann irgendwas einstellen, auch Schrott. Rezo kann sich in der Öffentlichkeit verbreiten, ohne etwas zu bezahlen. Rezos Video wird von 14 Millionen angeklickt. Damit ist er spitzenmäßig ein „Influencer“, Einflussträger. Je mehr Follower/Verbindungen in den „Social Media“ er als Werbeträger hat, desto mehr zahlen die Vermarkter an YouTube, Facebook usw. Die Vielen schicken ein. Und wir verfolgen vorher, mittendrin und hinterher Werbung. YouTubes Mechanismen wählen aus, welche Werbung welcher User bekommt. „Wir werden die User für dich ausspionieren und nehmen dafür sehr viel Geld!“; und VW ist es egal, ob fünfzig- oder millionenmal angeklickt, wenn es nur gerade speziell die VW-Interessenten sind. YouTube gehört zu Google, Google zum Giganten Alphabet LLC in Kalifornien. Es geht nur darum, Milliarden mit Werbung zu verdienen.

Es gibt Leute, die laden auch Ausschnitte aus TV-Sendungen hoch, teilen Mitschnitte von Konzerten, von Musikstücken, lesen Texte vor, Bandsongs; sympathisch! Aber auch damit verdient YouTube Werbungsgeld. YouTube diskriminiert nicht und kann alles hochladen, aber, wenn öffentlich zur Verfügung gestellt, ist das eine Urheberrechtsverletzung.

Momentan, also vor der EU-Richtlinie ist es so: YouTube muss den Inhalt nicht prüfen, sondern nur zurücknehmen, wenn der Rechteinhaber darauf hinweist: meine Rechte sind verletzt. YouTube ist also nur „Störer“, haftet nur für Unterlassung und Herausnahme binnen 14 Tagen, was YouTube auch macht; aber eben nicht auf Schadensersatz.

Das juristische Konstrukt dahinter ist: wir als YouTube stellen nur wie eine Handwerksmesse eine Infrastruktur zur Verfügung, damit andere ihre Inhalte dort abladen können. Die aber brauchen nichts zu bezahlten, das tun nur die werbenden Unternehmen (das ist an sich schon eine mafiöse kartellrechtswidrige Konstruktion). Sie betrachten sich als Vermieter!

Das, was mit der EU Richtlinie gewollt ist, haben YouTube und GEMA schon praktisch durch einen Muster-Vergleich vorbereitet: YouTube darf sich, wenn z.B. ein Musikvideo hochgeladen wird, gegenüber GEMA immer auf die Vermutung verlassen, dass sie treuhänderisch alle Rechte wahrnimmt. Sie ist wirtschaftlich gesichert, muss nichts sperren, bekommt Werbung und Kohle und bezahlt an GEMA eine hohe jährliche Lizenzpauschale, die streng geheim gehalten wird. Die müsste die Gewerkschaft auch mal herausklagen.

Ähnliche Vergleiche hat YouTube auch schon mit den Produktionsagenturen Piet Smiet (20 Mio. mal im Monat angeschaut, mit 2 ½ Mio. Abonnenten) und anderen Entertainerkanälen (Rob Bubble, Richtig Cool u.a.).

Uploadfilter und die Pflicht zur Bezahlung

Jetzt aber postuliert die EU-Richtlinie darüber hinaus in Artikel 17 IV b nicht nur die Störerhaftung der Plattform-Monopolisten, sondern geht zur vollständigen Haftung als Urheberrechtsverletzer für Schadenersatz über. Hiervon ist YouTube aber freigestellt, wenn sie „alle Anstrengungen nach branchenüblichen Standards beruflicher Sorgfalt unternommen“ hat, den Inhaber festzustellen und dessen Erlaubnis einzuholen.

Den Hauptzündstoff liefern dazu die notwendigen Kontroll-„Uploadfilter“ (Anti-Auflade-Filter – „upload“ heißt hochladen in den Kanal, in eine cloud „Wolke“ aus chips/Inhalten – download „runterladen“ ist, was Konsumenten machen). „Uploadfilter“ werden in der Richtlinie nicht genannt – aber derzeit gibt es keine andere Möglichkeit. Sie heißt Content-ID (identification). Sie sind übrigens bei YouTube und Facebook bereits eingerichtet. Warum? Wegen des seit 01.01.2018 geltenden Netzwerkdurchsetzungsgesetzes, das Aufladen von Kinderporno, Hass- und Terror-Videos und – in der Reserve – noch viel mehr verbietet und bestraft. Dort liegt übrigens – im Schatten der Urheber-Richtlinie – die eigentliche Zensurgefahr. Upload Filter funktionieren über Bild-Ton-Erkennung, durch Vergleichsalgorithmen d.h. mathematische Prüfungsmechanismen, die ständig verfeinert werden, die neu ankommende Clips, Upload-Versuche ständig mit den urheberrechtlichen Informationen vergleichen, die YouTube von den Berechtigten zur Verfügung gestellt werden müssen. Das erfordert Software mit enormen Energiekosten. Solche Filter treten lange vor dem Anklicken in Aktion, in dem Teil des Verfahrens, in dem Rezo ein neues Video hochlädt. (Da war ursprünglich der Hollywood-Oscar im Hintergrund; da sich die American Movietone Academy meldete, wurde er von YouTube nicht sofort freigeschaltet.)

YouTube ist politisch neutral, will nur Kohle machen. Algorithmen vergleichen Ausschnitte, Wortfolgen, Bilder, Videosequenzen, mit vorhandenen Sequenzen. Neue Uploads kommen in Quarantäne, werden durch Suchalgorithmen geschickt und mit Daten verglichen, die von Nutzungsrechtsinhabern zur Verfügung gestellt wurden. Wenn sich herausgestellt: nichts, werden sie aus Quarantäne entlassen und mit Suchwörtern verlinkt.

Hier gibt es die Befürchtung, dass Dinge schon in der Quarantäne abgeblockt werden, einfach aus politischen Gründen, und unter dem Vorwand: „Unser Algorithmus sagt, da ist urheberrechtsverletzendes Material drin“. Das sollte realistischer Weise nicht der Schwerpunkt unserer Kritik sein. Die Plattformbetreiber werden für das breitestmögliche Publikum individualisierter Werbeaddressdaten bezahlt und vermeiden jeden Anschein einer Zensur als schweren Imageschaden. Nicht die Blockade von Inhalten, sondern die Pflicht zur Lizensierung und Bezahlung ist Kern der Reform; Handlungen sollen nicht verhindert, sondern zu Geld gemacht werden. Die Konservativen und Wirtschaftsliberalen haben das durchgesetzt.

Da die neuen Lizenzeinnahmen aus den gewaltigen Werbeeinnahmen von Facebook, Google/YouTube, Twitter in die Kassen der Filmfirmen, Buch-und Presseverlage, Musiklabels gespült werden sollen, muss die Gewerkschaft mit Fachbereich 8 mit ihren eigenen und anderen Urheberverbänden dafür kämpfen, dass die Urheber/Werteschöpfer (sozusagen die Arbeiter und kleinen Handwerker) möglichst viel von den Verwerterunternehmen abbekommen. Als Ansatz sollten dafür die mit der EU-Richtlinie frech überrumpelten, vorher schwer erkämpften Luxemburger und Karlsruher Urteile dienen, die den Urhebern 100% gegeben haben. Bei der anstehenden Umsetzung in nationales Recht sollte die verlotterte „Soll“-Bestimmung der Richtlinie –“Die Verlage sollen die Urheber angemessen beteiligen“ – im Sinne strikter nationaler Urteilstreue ausgelegt werden: das Geld gehört den Urhebern und diese sind es, die die Verwerterunternehmen angemessen beteiligen können. Dazu müssen die notwendigen und erzwingbaren Auskunftsrechte gegenüber den Verwertern und (!) den Internetplattformen eingebaut werden, sowie das Wahlrecht bei der Schadensersatzforderung: entweder Herausgabe des Verletzergewinns (empfiehlt sich bei erfolgreichen Urhebern und Verwertern) oder Lizenzanalogie (die anderen sollen wenigstens am Rande des durchschnittlichen Marktwertes dahinkrebsen dürfen).

Wenn wieder 40.000 Konsumenten gegen die Richtlinie, d.h. ihre anstehende Umsetzung demonstrieren, sollten Losungen wie „Schluss mit der schleichenden Enteignung der Kreativen!“ und: „Wir wollen die neuen Werbe-Milliarden nicht mit Preisaufschlägen auf unsere Lebensgüter bezahlen!“ eingebracht werden.

Die 40.000 lagen mit ihren Anliegen knapp daneben: freier Internet-Konsum, Gefahr für die „Internet-Kultur“, Zensur durch Uploads. „Wir sind nicht von den Plattformen bezahlte Protest-Mobs, keine Bots (Vortäuscher von Massenprotests durch Streu-Mails)“. Die Aktivistenvertreter argumentieren sehr abstrakt: sind die technischen Sperrfilter erst mal da, können sie im gegebenen Moment nicht nur für die Urheberrechtskontrolle, sondern auch für zahlreiche andere Arten politischer Kontrolle genutzt werden.

Klar ist: „Freiheit für das Internet“ ist vorbehaltlos auch unsere Losung, denn die Internet-Auftritte der „Nachdenkseiten“, der BIFA, des isw und anderen linken Organisationen dürfen nicht beschädigt werden – z.B. durch Verfassungsschutzerpressung ihrer Provider. Auch der vorrangige Wunsch nach freiem Konsum hat viele gegen Zensur und Demokratiebeschädigung sensibilisiert. Die politische Eingriffsmöglichkeit durch Sperrfilter und technische Datenabschöpfung ist schon da. Da arbeiten Content-ID und Weiterentwicklungen schon.

Was zählt denn da in §1 zu den „rechtswidrigen Inhalten“, die beseitigt und verfolgt werden können? Es sind nicht nur die immer vorgeschobenen Kinderpornos und völkerverhetzenden Hassreden, sondern auch wörtlich: „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates, Straftaten gegen die öffentliche Ordnung, Bildung krimineller Vereinigungen, Beschimpfung von Religionen und Weltanschauungen, Beleidigung, üble Nachrede, politische üble Nachrede, Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen, Bedrohung usw.“, und schließlich schwammig: „sonstige offensichtlich rechtswidrige Inhalte“. Geschützt werden wörtlich „Rechte am geistigen Eigentum und andere absolut geschützte Rechte“, was immer man da unterbringen kann. Als „rechtsstaatsfeindlich“ gelten derzeit der Antifaschismus und die Kurdenverbände. Mit politischer übler Nachrede waren Behörden und Gerichte zur Zeit des Strauß und der Freunde Franco, Schah und Pinochet sehr freigebig.

Kramp-Karrenbauer möchte die „Rezos“ weg-“regulieren“ können, und Innenminister Seehofer will die Betreiber von Onlinediensten und Sprachassistenten verpflichten, von den Sicherheitsbehörden gezielte Spionageaufträge anzunehmen und personenbezogene Clouds abzuliefern.

Die Demonstration der 40.000 gegen die EU-Richtlinie hatte nicht dieselbe Qualität wie jene der 40.000 gegen das neue Polizei Aufgabengesetz in Bayern. Aber keinesfalls wäre die Aussage zulässig: „Eure Aufregung wäre einer besseren Sache wert“. Wie auch bei der großen Demo vom 19. Mai „gegen Rechtspopulismus und für-EU“ zeigt sich, dass die Aussagen aller drei genannten Bewegungen nicht nur benachbart, sondern – richtig betrachtet – zum gleichen Kern gehören.

Vielleicht gelingt bei diesen jüngeren, überdurchschnittlich gebildeten Protestieren auch die ein oder andere Sozialismus-Diskussion: der freie Konsum der vergesellschafteten Arbeitsfrüchte anderer, die Commons, die open source. Ist das erst im Endstadium des Kommunismus möglich oder schon in der 38. Phase der allgemeinen Krise des Kapitalismus? Sind wir uns einig, dass Leistung für andere immer bezahlt werden muss, auch im Sozialismus, und dass darin die Überwindung der Ausbeutung des Menschen liegt?

Es gibt die diskussionswürdigen Bücher von Paul Cottrell und Allin Cockshott: „Alternativen aus dem Rechner“[1] (u.a. dass die sozialistische Planung mit der IT-Technik endlich klappen könnte). Herrlich Francis Spufford: „Rote Zukunft“. Notfalls der Flippy-Schmöker von Holm Friebe und Sascha Lobo: „Wir nennen es Arbeit“.

Lenin hat gesagt: Protestbewegungen, die nicht von der Linken aufgenommen werden, fallen der Bourgeoisie anheim, den Rechten (so im „Linken Radikalismus“, „Zur Zabern-Affäre“, „Zum irischen Aufstand“, „Das Ergebnis der Diskussion über die Selbstbestimmung“). So endet der Hightech-Hype beim guten alten Lenin.


[1] Hier ist die Englische Originalversion herunterzuladen, hier findet sich die Deutsche Übersetzung. Beide Dateien wurden vom Autor eigenständig hochgeladen und später über diverse Kanäle verbreitet.