Bis in die Reihen des politisch-konservativen Lagers hinein reichen mittlerweile die Forderungen nach einer radikalen Umgestaltung des Verkehrssektors. Eine über jahrzehntelang herrschende Verkehrspolitik orientierte sich nahezu uneingeschränkt an einer privatwirtschaftlich, wohlstands-ideologisch und moralisch begründbaren Infrastrukturpolitik („Freie Fahrt für freie Bürger“). Verkehrserschließung im innerstädtischen Bereich, städtebauliche Maßnahmen unter Berücksichtigung des zunehmenden Platzbedarfs für den Autoverkehr, Verbindungen zwischen Ortschaften, Schnellstraßen und der Ausbau von Autobahnen folgten den immer umfassenderen Volumen an produzierten Vehikeln der Automobilhersteller.

Stellenabbau und Strukturanpassungen

Und dafür sind und werden Strukturen geschaffen, die sich als verfehlte Strukturpolitik in all ihren Konsequenzen für Umwelt, Luftreinheit, Lärmbelästigung und Mobilität für Alle zeigen. Der Staat mit seinen politischen Eliten erwies und erweist sich bis zum heutigen Tage als Förderer und Bereitsteller günstiger Verwertungsbedingungen auch und gerade für den Industriezweig der Automobil- und weit verzweigten Zulieferindustrie.

Die Mehrung des Reichtums der privaten Kapitaleigner der Autofabriken erforderte die Schaffung von Arbeitsplätzen, eine Ausweitung der Produktionskapazitäten an verschiedenen Standorten mit optimierten Arbeitsabläufen und innovativen Produktentwicklungen. Mit heute bis ca. 800.000 Arbeitsplätzen zählt die Automobilindustrie zu einem der arbeitsplatz-mächtigsten Industriezweig in Deutschland. Es ist unschwer nachzuvollziehen, dass die Automobilwirtschaft von der seit Jahren erkennbaren Überproduktions- und Absatzkrise nicht verschont blieb. Die belegbare Rezession der deutschen Wirtschaft konfrontiert das Management der Auto-Konzerne jetzt in verstärktem Masse mit der Aufgabe, das Primat der maximalen Erwirtschaftung von Gewinn und Rentabilität in Einklang zu bringen mit dem sich abzeichnenden Rückgang des Autoabsatzes und den profitschmälernden Kostensteigerungen in der Produktion.

Jedoch ein Umsteuern in der Produktion von den nach wie vor profitablen und dominierenden Diesel- und Benzinfahrzeugen und Neuausrichtung auf beispielsweise alternative Antriebe wie Elektromobilität und Brennstoffzelle (Wasserstoff als Energieträger) erfolgt nur in dem Maße, wie sich die Profitabilität im Gesamtergebnis, trotz der jüngst angekündigten Wasserstoffstrategie, aufrechterhalten lässt.

Die betrieblichen Strukturanpassungen gehen einher mit nachweislich prekären Arbeitsbedingungen wie Zeitverträge, Auflösung derselben, Auslagerung von Arbeitsleistungen für weite Teile der abhängig Beschäftigten, ohne dass eine vertragliche Vereinbarung eine Garantie für den Erhalt von Arbeitsplätzen beinhalten würde.

Die von den Automobil-Konzernen geforderte und letztlich durchgesetzte staatliche Subventionierung des Absatzes von Fahrzeugen mit Elektro-Antrieb ist im Grunde genommen bereits eine staatliche Finanzierungmaßnahme der Strukturanpassungskosten für die Konzerne. Im November 2019 ist diese staatliche Förderung in Form einer erhöhten Umweltprämie für jene Autos bereits erhöht worden. Die Automobil-Lobby verdient sich dafür bei ihren Auftraggebern das Prädikat „wertvoll“.

Prekäre Arbeitsbedingungen und ein Rückbau von Arbeitsplätzen bestehen in der Automobilindustrie schon seit Jahren, sozusagen als eine bedarfsdeckende Spielmasse zum Erhalt der Profitabilität. Harte Umbau- und Kürzungsprogramme sind zu diesem Zweck in nahezu allen Auto-Konzernen zu erkennen. Umso mehr das Kapital von der Ausbeutung der Lohnabhängigen profitiert, desto stärker stecken die Menschen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten. So weist etwa das Branchen-Magazin Autohaus darauf hin, dass BMW in den kommenden Jahren Tausende von Arbeitsplätzen abbaut. Selbst betriebsbedingte Kündigungen seien nach Aussagen des Betriebsrates nicht mehr auszuschließen. Im Volkswagen-Konzern wird der Abbau von Arbeitsplätzen geschickt mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze für die eigene Batteriezellfertigung begründet.

Unabhängig von den Auswirkungen der Corona-Krise setzte dieser Prozess der Strukturanpassung, zeitlich gesehen, weit davor ein. Wir haben es nach Einschätzung von Conrad Schuhler „mit einer Jahrzehnt anhaltenden Überakkumulationskrise zu tun – das Wertschöpfungspotential übersteigt die effektive Nachfrage, worauf die Industrie, das Herzstück der Wertschöpfung, mit einem Rückgang ihrer Produktion und ihrer Investitionen reagiert:“ Mit anderen Worten nicht die Ursache, sondern ein Verstärker der Krise.

Bei BMW garantiert zwar eine Betriebsvereinbarung jedem Mitarbeiter seinen Arbeitsplatz, aber nur, solange das Unternehmen einen Jahresgewinn erwirtschaftet. Das sollte für gewerkschaftlich organisierte Betriebsräte eigentlich als ein Mandat verstanden werden, eine betriebsbedingte Kündigung kategorisch auszuschließen.

Die Autokonzerne verzichten nicht auf die Gewinnausschüttung.

Befeuert wird diese gewerkschaftliche Aufgabe ganz besonders durch die aktuellen Dividende-Ausschüttung für die Kapitaleigner der Automobilkonzerne. Der Automobilkonzern BMW hat wie geplant seinen Aktionären in diesem Jahr für das Geschäftsjahr 2019 rund 1,6 Milliarden Euro ausgeschüttet. Die Anteilseigner Stefan Quandt und Susanne Klatten, die Erben der Familie Quandt, die zu den reichsten Deutschen zählen, haben mit 25,8 Prozent der BMW-Anteile (Stefan Quandt) für 2019 Anspruch auf rund 425 Millionen Euro Dividende. Seine Schwester Susanne Klatten mit 20,9 Prozent erhält dem Vorschlag der Konzern-Managements des Unternehmens folgend rund 344 Millionen Euro. An die Aktionäre gewandt verteidigte der jetzige Konzern-Chef Oliver Zipse die Ausschüttung mit den Worten: Ihr Unternehmen handelt zuverlässig, auch in der Dividendenpolitik“.

Trotz Krise schütten BMW und VW Dividenden aus (die Hauptversammlung VW ist verschoben, aber der Vorschlag der Gewinnausschüttung steht) und rufen nach finanzieller staatlicher Hilfe. Die Auszahlung von Dividenden war heftig umstritten, nachdem nahezu zeitgleich zu den Beschlüssen über die Dividende-Ausschüttung staatliche Fördermittel zur Krisenbewältigung gefordert wurden. Die Automobilkonzerne schlossen sich zusammen mit dem Ziel, staatliche Mittel in Form einer Abwrackprämie zur Abfederung der „finanziellen Einbußen“ durchzusetzen. Speziell die „Auto-Länder“ Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen verlangten eine Autokauf-Prämie, oder auch anders formuliert, eine „Investitionsprämie“ für Neuwagen-Modelle.

Entscheidung der Bundesregierung: keine eingeforderte Absatzprämie

Nach langen Verhandlungen hat sich die Bundesregierung entschieden, keine Abwrackprämie für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren zu verabschieden. Dafür soll die Förderung von Elektroautos mit bis zu 9.000 Euro Nachlass für Fahrzeuge mit einem Anschaffungspreis von bis zu 40.000 Euro erfolgen (für Elektro-Dienstwagen mit Anschaffungspreis 60.000 Euro). Der staatliche Anteilsoll dabei von 3.000 Euro auf 6.000 Euro verdoppelt werden, während der Hersteller-Beitrag von 3.000 Euro unverändert bestehen bleibt.

Hinzu kommt eine zeitlich befristete Senkung der Mehrwertsteuer von 19% auf 16% als ein Kaufanreiz für bis Ende 2020. Die bestehende Umweltprämie bleibt bis zum 31.12.2021 befristet und soll offensichtlich nochmals erhöht werden. Zum wiederholten Male wird auch der Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektroautos versprochen. Im Hinblick auf anders gelagerte Mobilitätsaspekte sollen die Deutsche Bahn und der Nahverkehr Milliardenhilfen erhalten. Der Kauf von klimafreundlicheren Lastwagen, Flugzeugen und Schiffen soll gefördert werden. Anstehende Investitionen in die Infrastruktur sollen vorgezogen werden. Autos mit hohen Abgaswerten sollen höher besteuert werden.

Von einem Einknicken der Automobilkonzerne und Ihres Lobbyverbandes VDA vor der Bundesregierung kann trotz anders lautenden Medienberichten nicht die Rede sein. Die Konzernleiter von VW, Daimler und BMW äußerten sich zwar medienwirksam zufrieden über den „guten, überparteilichen Kompromiss“ und „wertvollen Transformations-beschleuniger“. Es muß aber nicht verwundern, dass die Autokonzerne diesen „Besser als Nichts-Kompromiss“ zunächst einmal hinnehmen. Bleibt doch den Autokonzernen mit ihren nicht erfüllten Forderungen einer Abverkaufshilfe für entgangene Autoverkäufe eine Hintertür weit offen: im Rahmen der bereits initiierten nationalen Plattform „Mobilität der Zukunft“ soll künftig weiter über mögliche Förderprogramme mit den Konzernen beraten werden.

Kritisch ist darauf zu verweisen, dass Abwrackprämien nur kurzfristig die Autoverkäufe ankurbeln, mittelfristig aber kaum zu mehr Autoverkäufen führen. Das Ifo-Institut, Niederlassung Dresden belegt mit einer international angelegten Studie zu Abwrackprämien im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009, „…dass viele Verbraucher damals aufgrund der Prämie einfach Autokäufe vorgezogen hätten, die ohnehin geplant waren.“ „Unter dem Strich geben die meisten Studien keinen Hinweis, dass durch die Prämien mehr Autos verkauft werden.

Liquide Mittel bis zum Abwinken

Ein Jammern über Struktur-Anpassungskosten ist ohnehin nicht angesagt. Die Konzerne können sich in der aktuellen Krise auf ihre eigene Liquidität verlassen. Die deutschen Autobauer haben ein erfolgreiches Jahrzehnt hinter sich und liquide Mittel in Übermaß in Reserve. Volkswagen, BMW, Daimler und der hinzugerechnete mächtige Zulieferer Continental weisen laut Handelsblatt in ihrem Finanzvermögen Zahlungsmittel und Zahlungsmitteläquivalente in Höhe von 46,7 Milliarden Euro aus. Der Reichste von allen wäre Volkswagen, wenn die Strafzahlungen von etwa 30 Milliarden Euro für die betrügerische Manipulation der Dieselfahrzeuge nicht erforderlich gewesen wären.

Wider besseres Wissen

Der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Einzelgewerkschaft IG Metall melden sich legitimerweise als Interessenvertreter, auch der lohnabhängig Beschäftigten in der Automobilindustrie, zur Entscheidung zur Abwrackprämie zu Wort. Ihre beipflichtende Forderung nach staatlichen Fördermitteln zur Sicherung von Arbeitsplätzen wirkt verstörend. Liquide Mittel der Autokonzerne sind wie gezeigt üppig vorhanden. Die Dividende-Ausschüttungen an die Aktionäre sind trotz Einsparungen, Rezession und Arbeitsplatzverlusten in Krisenzeiten gigantisch hoch.

Aus gewerkschaftlicher Sicht sollten Themen auf der Agenda stehen wie z.B.: Was machen die Konzerne mit den verfügbaren Mitteln, erwirtschaftet durch die Arbeitsleistung der Beschäftigten in den vergangenen fetten Jahren; weshalb sind Investitionen in zukunftsorientierte Arbeitsplätze zur Produktion von umweltfreundlichen Produkten lange nicht erfolgt; was hindert die Unternehmen im Interesse der Belegschaft daran, die Absatzeinbußen in Krisenzeiten durch Preisreduzierungen der Autos zu kompensieren; gibt es eine Beschäftigungsgarantie im Zuge der Strukturanpassungen, was ist mit direkten Betriebshilfen für die durch Kurzarbeit bedingte Lohnkürzungen, wo doch finanzielle Mittel zur Verfügung stünden; was gedenkt die Gewerkschaft zu tun, um den Abbau der Arbeitsplätze mit und ohne Pandemie aus Gründen der Profitmaximierung durch die Unternehmenspolitik zu verhindern?

Es würde der IGM gut zu Gesicht stehen, mit Weitblick auf einen nachhaltigen Umbau der Automobilwirtschaft zu pochen und eine gesellschaftspolitisch ausgerichtete Gewerkschaftspolitik zu betreiben. Den Konzernforderungen nach Staatshilfen mit dem Argument der Arbeitsplatzsicherung das Wort zu reden, erzeugt zumindest großes Unverständnis.

Radikale Umgestaltung des Verkehrssektors durch Regulierungen

Weitgehende staatliche Auflagen, Regulierungen für einen übermächtigen Industriezweig der Automobil-Produktion und Zulieferindustrie bleiben die Forderungen im Rahmen einer zukunftsgerichteten Verkehrswende: eine radikale Umstellung der Automobilproduktion in Richtung einer sozial-ökologisch strukturierten Wirtschaft, die Produktion nachhaltiger, emissionsreduzierter Fahrzeuge, striktere Vorgaben und deren Überprüfung für emissionsfreie Fahrzeugproduktion, ausnahmslose Einhaltung der CO2-Grenzwerte bei jedem zu produzierenden Fahrzeug (keine Durchschnittsermittlung über die gesamte Fahrzeugpalette), keine Betriebserlaubnis von Fahrzeugen , die über den festgelegten europäischen Grenzwerten liegen, Einleitung des Ausstiegs aus der Produktion von Verbrennungsmaschinen, grundsätzliche Verkehrsvermeidung, Förderung des öffentlichen Nahverkehrs und vieles mehr. Dabei ist die geforderte Bereitstellung nicht-fossiler Energieversorgungsträger und die Umsetzung des beschlossenen Kohleausstiegs ein Gradmesser für die Glaubwürdigkeit (Entscheidungsstand heute: negativ) der herrschenden Regierungspolitik.

Weitere Hinweise