Die Grünen haben einen Entwurf für ein neues Grundsatzprogramm vorgelegt. Viel Aufsehen hat das nicht erregt. Auch unter den Parteimitgliedern scheint es kein großes Thema zu sein. Trotzdem wäre es aber durchaus wichtig zu wissen, wie sich eine Partei, deren Markenkern die Umweltpolitik sein sollte, den ökologischen Umbau der Gesellschaft vorstellt. Die Lektüre der Kapitel zur Ökologie und zur Wirtschaft ergibt: Irgendwie halt. Schon beim ersten Lesen fällt unangenehm auf, dass der Entwurf insgesamt immer wieder von rhetorischen Floskeln durchsetzt ist. Wir erfahren etwa Folgendes:
- Wir haben die Erde von unseren Kindern nur geborgt.
- Die Natur braucht uns nicht. Wir brauchen sie.
- Nach dem fossilen Zeitalter beginnt die ökologische Moderne.
- Ohne Woher kein Wohin.
Aber natürlich sind neben Sinnsprüchen auch programmatische Aussagen in den beiden Teilen zu finden. Ich möchte deshalb den Gehalt dieser Abschnitte an einigen wenigen zentralen Fragen ökologischer Politik spiegeln: An der Frage des Wachstums, der ökologischen Preise, und des Verhältnisses von Staat und Markt.
Wachsen oder Schrumpfen?
Wenn wir den ökologischen Fußabdruck (ecological footprint) als ein ungefähres Maß für Nachhaltigkeit betrachten, ergibt sich folgendes Bild: Der ökologische Fußabdruck Deutschlands liegt bei ca. 3. Das bedeutet, hierzulande werden dreimal mehr Ressourcen vernutzt, Abfälle und CO2 erzeugt, als auf Dauer möglich ist. Wir verbrauchen langfristig 3 Planeten.
Rechnet man den CO2-Fußabdruck, der in vieler Hinsicht ein gesondertes Thema darstellt, aus dem Gesamt-Footprint heraus (nichtenergetischer Fußabdruck), ergibt sich grob geschätzt immer noch ein Konsum von Bodenschätzen, Rohstoffen, Natur und Wasser, der in etwa doppelt so groß ist, wie er sein dürfte.
Daraus folgt: Es geht bei einem ökologischen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft um weit mehr als nur um die Energiewende. Der gesamte Ressourcenverbrauch in Deutschland müsste annähernd halbiert werden – und zwar nicht irgendwann, sondern in den nächsten drei oder vier Jahrzehnten. Die massive Reduzierung der Rohstoffvernutzung (und damit eng zusammenhängend die Herstellung von CO2- Neutralität), sollte also das Kern-Ziel jeder ökologischen Transformation sein.
Was sagt das Grünen-Programm dazu? Etwas allgemein heißt es lediglich: “Um den Raubbau an der Natur zu beenden, muss der absolute Verbrauch von natürlichen Ressourcen substantiell und rasch reduziert werden.“ Auch die „planetaren Grenzen“ werden kurz erwähnt und „…dass Ressourcen nur in dem Maß genutzt werden dürfen, wie sie sich wieder erneuern können.“ Das ist sehr richtig, aber auch sehr unbestimmt und lässt den Leser über den Umfang und die Dringlichkeit einer ökologischen Transformation im Unklaren. Eine Schwerpunktsetzung sieht anders aus.
Aber immerhin wird festgehalten, dass es um eine „substantielle“ Reduzierung des Ressourcenverbrauchs geht. Und Reduzierung, so denkt man gemeinhin, ist das Gegenteil von Wachstum.
Gleichzeitung heißt es im Programmentwurf aber: „Dafür braucht es den Wandel zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft, die Wachstum, Effizienz, fairen Wettbewerb und Innovation als Mittel zur Erreichung von mehr Lebensqualität für alle Menschen nutzt…“ Und: „Wachstum in bestimmten Bereichen wird auch in Zukunft wichtig sein, um die Lebensbedingungen der Menschheit zu verbessern.“ Dahinter steht offensichtlich die Theorie des „grünen Wachstums“, die von einem Teil der Ökologiebewegung mehr oder weniger vehement vertreten wird.
Dieses Konzept ließe sich allerdings nur dann ernsthaft propagieren, wenn es die Möglichkeit einer absoluten Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch durch eine Keislaufwirtschaft gäbe. Die Idealvorstellung wäre: Durch ein unendliches Recycling werden keine neuen Rohstoffe mehr verbraucht, sondern die bereits verarbeiteten werden in einem weitgehend geschlossenen Kreislauf als Sekundärrohstoffe erneut verwendet.
Von Recycling wird schon lange geredet und vieles wird inzwischen auch recycelt, aber eine (absolute) Abkopplung hat das bisher nicht bewirkt. Ganz im Gegenteil – seit dem Jahr 2000 steigt der Ressourcenverbrauch weltweit wieder deutlich stärker als das Wachstum! In der EU ist der Rohstoffverbrauch seit 2010 annähernd konstant, in Deutschland seit 2012 wieder leicht zunehmend. Der Markt, die Unternehmen und die bisherigen politischen Rahmensetzungen richten es also nicht.
Nun muss es dabei selbstverständlich nicht bleiben. Um die Recyclingquoten zu steigern, bräuchte es aber massive politische Eingriffe und Vorschriften. Welche? Darüber schweigt sich das Programm aus. Und auch bei einer veränderten Politik: Recycling hat technische und physikalische Grenzen, es ist bei manchen Produktionslinien sinnvoll nicht möglich. Dasselbe gilt für den Umstieg von nicht-erneuerbaren auf erneuerbare Rohstoffe.
Alleine deshalb ist „grünes Wachstum“ ein fragliches Projekt. Das wissen wohl auch die Programmautoren. Sie ergänzen deshalb das „Wachstum“ um Hinweise auf „umweltverträgliche Produkte und Produktionsverfahren“ und ein „anderes Wirtschaften“, was die Sache nicht besser macht. Was ist nun die Strategie der Grünen? Grünes Wachstum oder vielleicht doch Nullwachstum, eventuell sogar „Degrowth“ (Schrumpfen)? Der Programmentwurf vertritt wohl eine irgendwie geartete Wachstumswirtschaft, lässt aber in seiner Unklarheit den Leser eher ratlos zurück.
Preise oder Mengen?
Aber gehen wir einmal davon aus, die Grünen wollen tatsächlich in einem grünen Wachstum den Ressourcenverbrauch entkoppeln und senken. Welche Instrumente würden sie dafür anwenden? Die Ratlosigkeit des Lesers steigert sich. Im Programm ist wenig dazu zu finden, mit welchen Vorgaben, Gesetzen, strukturellen Änderungen sie dieses Ziel realisieren wollen. Im Unterkapitel zum Klima tauchen nicht einmal CO2-Steuern oder Zertifikate auf. Stattdessen wird so getan, als würde sich die Transformation aus sich selbst heraus schaffen. Die Autoren retten sich immer wieder in Formulierungen wie: „Freies und kreatives Handeln von Menschen sowie die Dynamik eines fairen Wettbewerbs (…) können nachhaltigen Wohlstand, Fortschritt und innovative Problemlösungen schaffen“.
Wo die Grünen als Partei ihre Rolle dabei sehen, lässt sich kaum feststellen. Es ist schon klar: Ein Grundsatzprogramm ist kein Wahlprogramm für eine Bundestags- oder Landtagswahl. Aber grundsätzliche Zielfestlegungen, Standpunkte und Strategien sollten schon erkennbar sein. Grundsatz heißt nicht „irgendwas, irgendwer“.
Ein einzelner instrumenteller Hinweis ist allerdings doch zu finden: Der auf die Preise: „Nur wenn Preise die ökologische und soziale Wahrheit sagen, geht der Wettbewerb der Märkte nicht zulasten von Mensch und Umwelt“. „Eine Politik, welche die ökologischen Kosten der Produktion in den Preisen abbildet, ist ökonomisch effizient…“
Die Vorstellung von der Internalisierung der Umweltkosten und daraus entstehenden „ökologischen Preisen“ ist zwar weitverbreitet, aber trotzdem eher ein Gedankenspiel mit wenig realer Bedeutung. Denn wie will man die „ökologischen Kosten“ einer Umgehungsstraße durch eine Wiesenlandschaft errechnen, wie die Kosten des Artensterbens, oder der Vermüllung des Mittelmeers? Diese „ökologischen Preise“ bleiben meistens unbestimmt. Sie sind keineswegs ein zentrales, operationalisierbares Instrument der Umweltpolitik. Dazu kommt, dass die Ökonomen wieder einmal wenig über die Frage wissen, wie die Preise auf die Mengen einwirken, die sogenannte Preiselastizität.
Aber natürlich spielen Preise eine Rolle – allerdings nicht als erdachte „die Wahrheit sagende Kostenpreise“, die dann marktförmig von selber die Umwelt retten, sondern ganz simpel als Instrument der Mengensteuerung. Wenn man also die Verwendung von Primärrohstoffen halbieren will, legt das den Gedanken nahe, eine jährlich steigende Rohstoffsteuer auf sie zu erheben. Diese Steuer steigt solange, bis das Mengenziel erreicht ist. Dass derartige Abgaben zu einer deutlichen Verteuerung von rohstoffintensiven Produkten führen würden, ist logisch, aber nicht zu vermeiden.
Von solchen massiven, mengenbestimmten Eingriffen in das derzeitige Preisgefüge ist bei den Grünen nichts zu lesen. Wohl auch deshalb nicht, weil man sich damit endgültig vom Wachstumsdenken verabschieden müsste. Stattdessen versucht der Programmentwurf, sich irgendwie marktkonform durchzuwursteln.
Staat oder Markt?
Wenn man das Kernziel einer ökologischen Transformation ernst nimmt, stößt man ständig auf den Staat. Er müsste nachhaltige Mengen definieren, entsprechende Preise herstellen, Zölle auf ressourcenintensive Einfuhren erheben, Infrastrukturen für eine ökologischen Wende schaffen, den sozialen Ausgleich bei all diesen Veränderungen sichern, internationale Abkommen aushandeln…
Dabei darf man auch direkte Staatseingriffe nicht ausschließen. Dazu gehören eben nicht nur Preise, sondern auch Gebote und Verbote bei der Produktion: Es gibt gute Gründe, etwa die Herstellung von tonnenschweren benzinschluckenden Automobilen zu verbieten, oder die von Plastiktüten.
Die Produktion muss auf Reparierbarkeit und Langlebigkeit umgestellt werden. Auch dazu braucht es entsprechend Gesetze und Verordnungen, aber auch öffentliche Förderungen. Der Markt tut das nicht, er schafft ganz im Gegenteil immer mehr Wegwerfproduktion.
Eine Änderung der Konsumstrukturen weg vom individuellen Konsum, hin zum kollektiven Konsum ist ebenfalls eine öffentliche Aufgabe. Ein Beispiel dafür wäre die Verkehrspolitik, wo es darum ginge auch in der Fläche die öffentlichen Verkehrsmittel zu schaffen, die das Auto ersetzen können.
Solche Vorstellungen werden von den Marktfans in Politik und Wirtschaft selbstverständlich als Ökodiktatur und Einführung der Planwirtschaft durch die Hintertür bekämpft.
Wie stehen die Grünen zum Thema Staat und Markt? Auch hier wieder: Irgendwie halt. Das Programm bietet das übliche Bild eines nicht greifbaren Sammelsuriums. Da wird vieles aufgeführt, aber nur wenig wird konkret und greifbar. Einerseits ist vom „Primat der Politik“ die Rede, was die Politik aber durchsetzen soll, bleibt vage. Es steht in dieser Passage nicht einmal drin, dass der Staat (wer sonst?) klare Ziele zu Reduzierung des Ressourcenverbrauchs vorzugeben und durchzusetzen hat. Stattdessen wird im nächsten Abschnitt dann wieder auf den Preis rekurriert, der die Wahrheit sagt.
Taktik oder Bewußtsein?
Bereits die Unterüberschrift zum Kapitel 2 „In die Zukunft wirtschaften“ lautet: „Sozial-ökologische Marktwirtschaft“. Warum lautet sie nicht „sozial-ökologische Transformation“ oder „sozial-ökologische Mischwirtschaft“? Haben sich die grünen Autoren auf das Primat marktwirtschaftlicher Instrumente festgelegt – ohne begründen zu können, wieso diese Instrumente zielführend und ausreichend sein sollen?
Wie auch immer: Man kann mit so einem Programm und einer Politik nach dem Motto „Irgendwie, irgendwer, irgendwas“ vielleicht Stimmen gewinnen und vielleicht eine Regierungskoalition hinbekommen. Aber eine Mehrheit für einen ökologischen Umbau der Gesellschaft bekommt man damit nicht. Es gibt in der Grünen Partei durchaus ein paar Änderungs- und Ergänzungsanträge zum Programmentwurf. Sehr entwickelt scheint die Diskussion allerdings nicht zu sein. Es wäre schön, wenn sich das noch ändern könnte und in der Programmdiskussion noch ein bisschen mehr Substanz in den Entwurf einfließen würde!