Die Gewerkschaft ver.di stand in 2020 vor einer besonderen Herausforderung: Die Tarifrunde TVöD – Arbeitnehmer*innen des Bundes und der Kommunen (in der Folge Wirkungen für die Beamten und Soldaten und Versorgungsempfänger des Bundes) fiel zeitlich in die Pandemie – respektive der Auswirkungen der Pandemie.

Die bis dahin geltende Tarifverträge hatten ein frühestmögliches Kündigungsdatum zum 31.08.2020. Schon vor der Pandemie waren die Verhandlungstermine, beginnend mit dem 01.09.2020, mit den Arbeitgebern vereinbart worden.

In der Konstellation war klar, dass ver.di zweifach herausgefordert sein wird: Einerseits würde die Pandemie und die sich daraus mehr oder weniger zwangsläufig ergebenden Beschränkungen (Kontaktbeschränkungen, weitestgehende Umstellung auf Homeoffice in vielen Betrieben und Einrichtungen, wo das möglich ist) massive Auswirkungen auf die Aktions- und Mobilisierungsmöglichkeiten haben – andererseits war aber jedem Beteiligten auch klar, dass die wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns die öffentlichen Kassen mit einerseits geringeren Steuereinnahmen und andererseits exorbitant steigenden öffentlichen Ausgaben massiv belasten werden, und zudem den Druck auf die Personalkosten des öffentlichen Dienstes steigen lassen würde. Zu oft schon waren in der Vergangenheit die Personalkosten das Instrument der Arbeitgeber, Einnahmeausfälle bzw. steigende Ausgaben in den öffentlichen Haushalten zu kompensieren.

Gleichzeitig war der Gewerkschaft aber auch klar, dass diese Tarifrunde mit Wirkung auf mehr als 3 Millionen Beschäftigten – wie in der Vergangenheit – eine Leitwährung für zeitlich folgende Abschlüsse darstellen würde (TV-L, Post, und andere – nicht nur im Wirkungsbereich von ver.di).

Ver.di stand also vor der Situation, erstmalig unter solchen Bedingungen eine große Tarifrunde zu führen und erfolgreich abschließen zu müssen.

In dieser Lage erschien es der Bundestarifkommission als Königsweg, mit einem sogenannten Kurzläufer-Tarifvertrag die unmittelbaren Pandemiezeiten zu überbrücken, um dann zu einem späteren Zeitpunkt durchstarten zu können. Ver.di war – wie alle – von der Pandemie und deren Folgen „erwischt“ worden – hatte sie doch eine längere Kampagne mit Umfragen zu einer Arbeitszeitinitiative vorbereitet, was eigentlich das Thema in der Tarifrunde 2020 sein sollte.

Mit dem Kurzläufer-Tarifvertrag sollte eine Einmalzahlung vereinbart werden, und im Grunde die alten Entgelttarifverträge für weitere 6 bis 9 Monate verlängert werden. Das war der Kern dieser Initiative.

Nur: sie traf auf Arbeitgeber, die einerseits schon einen relativ klaren Blick auf die Entwicklung der öffentlichen Einnahmen und Ausgaben hatten und andererseits auf Krawall gebürstet waren.

Sie wollten die Gunst der Stunde nutzen – und haben der Kurzläufervariante den schnellen Tod beschert.

Die Tarifverhandlungen sollten aus ihrer Sicht „normal“, wie geplant, am 01.09.2020 beginnen. Der Bundestarifkommission von ver.di blieb kein anderer Weg, als die Kündigung der einschlägigen Tarifverträge zu beschließen.

Und da zeigte sich die nächste Zuspitzung: während ganze Arbeitsbereiche des öffentlichen Dienstes (insbesondere Bund) unter Beibehaltung der Entgeltzahlung auf 0-Kurzarbeit gesetzt wurden, wurde schon vorher für den kommunalen Bereich ein Kurzarbeits-TV (TV- Covid) vereinbart. Während ganze Arbeitsbereiche (die für eine Tarifauseinandersetzung mit Arbeitsniederlegungen wichtig gewesen wären) um ihre Arbeitsplätze bangen (mussten) – z.B. Flughäfen – waren andere Sparten am Rande ihrer Leistungsfähigkeit ( sie bekamen verbal die lang vermisste Anerkennung) – wie z.B. die Krankenhäuser, soweit sie noch unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fielen.

Entsprechend unterschiedlich war die Erwartungshaltung der Mitglieder. Ein klassischer Mix, der im Grunde mit den Rahmenbedingungen nur dazu angetan war, mit dieser Tarifrunde krachend zu scheitern.

Die unterschiedlich ausgeprägten Interessen fanden sich dann folgerichtig in der Forderungsfindung wieder. Die 4,8 % mit sozialer Komponente (Laufzeit 12 Monate) und der Forderung nach Einrichtung eines sogenannten „Gesundheits- und Pflegetisches“ – zur Bearbeitung spezifischer, zusätzlicher Forderungen für diese Sparte – war genau der Versuch, die Interessen der Beschäftigten zu bündeln und damit auch mobilisierungsfähig zu machen.

Wie schon oben ausgeführt – die Arbeitgeber wollten die Gunst der Stunde nutzen.

Sie konterten den „Gesundheits- und Pflegetisch“ mit der Forderung nach einem sogenannten „Sparkassentisch“. Überflüssig zu erwähnen, dass es hier aus Sicht der Arbeitgeber natürlich um Entgeltabsenkungen gehen sollte – waren doch die Sparkassen schon seit jeher Konjunkturritter, die auch in der Vergangenheit jede Gelegenheit versuchten zu nutzen, aus dem Tarifgefüge des ÖD auszubrechen.

Sie erklärten „Sanierungs-TV“ für die Flughäfen zum elementaren Bestandteil einer Gesamteinigung, sie forderten die Umwandlung des leistungsbezogenen Entgelts zugunsten betrieblich zu verwaltender Töpfe zur Steigerung der Attraktivität des öffentlichen Dienstes (sic!), sie forderten steuer- und abgabenrechtlich geförderte Entgeltumwandlung, nicht nur zugunsten einer individuellen, dritten Säule der Alterssicherung, sondern auch für die Anschaffung von dienstlich genutzten E-Bikes (nur mühsam verkleistert mit dem Hinweis auf eine klimabedingte, notwendige Nahverkehrswende in den Innenstädten) und eine nachhaltige Änderung des § 12 TVöD.

Gerade die letzte Forderung war geradezu Sprengstoff! § 12 TVöD ist die grundlegende Norm für alle Eingruppierungen im öffentlichen Dienst. Die von den Arbeitgebern gewünschten Änderungen zielten darauf ab, eine aus der Sicht der Arbeitgeber falsche Rechtsprechung der Gerichte zur bisherigen Rechtslage zu konterkarieren und in der Zukunft schlechter eingruppieren zu können – u.U. sogar auch Herabgruppierungen zu erleichtern. Jedem handelnden Akteur war klar, dass damit jeder denkbare Abschluss über Entgelterhöhungen mehr als kompensiert werden könnte.

„Natürlich“ wollten die Arbeitgeber einen langfristigen Abschluss – wirkend bis Ende 2023 – und maximal Entgelterhöhungen als Ausgleich der Inflationsraten, die schon zu diesem Zeitpunkt unter 0 Prozent lagen.

In der Folge war klar: es werden schwierigste Verhandlungen – und es wird auch unter den Bedingungen der Pandemie Aktionen geben müssen.

Und das ist eine weitere Erkenntnis aus der Auseinandersetzung: ver.di hat sich dieser Herausforderung gestellt – und hat erstmalig eine Tarifrunde in weiten Teilen virtuell und digital geführt. Und das erfolgreich, wenn alle Faktoren dieses Tarifkonfliktes in die Betrachtung einbezogen werden.

Die Laufzeit der Tarifeinigung bis Ende 2022 ist zwar sehr lang, – und dazu auch noch mit sogenannten 0-Monaten am Beginn der Laufzeit verbunden, – sie entspricht aber bei weitem nicht den Erwartungen der Arbeitgeber. Für die 0-Monate gibt es wenigstens die sogenannte Corona-Einmal-Sonderzahlung und tabellenwirksame Erhöhungen in Höhe von 1,4 %, mind. ab 50 € ab April 2021 und 1,8 ab April 2022.

Zusätzlich wird im kommunalen Bereich 2022 die Jahressonderzahlung in den unteren Entgeltgruppen stärker angehoben (weitere soziale Komponente). Zusätzlich wurden nachhaltige Verbesserungen für den Gesundheits- und Pflegebereich vereinbart. Hier summieren sich u.U. (je nach Arbeitsbereich der Mitarbeiter*innen) die Entgelterhöhungen über den Zeitraum der Laufzeit der Vereinbarung auf nahezu 10 %.

Während der Angriff auf den § 12 TVöD (grundlegende Regelung zur Eingruppierung) in der Gänze erfolgreich abgewehrt werden konnte, waren die Vereinbarungen zur Entgelt-umwandlung und zum Leistungsentgelt nicht abzuwehren. Hier kommt es im Nachgang noch zu Nachgefechten resp. Auseinandersetzungen in den Redaktionsverhandlungen und in der betrieblichen Ausgestaltung.

Der Angriff auf die Sparkassenjahressonderzahlung konnte nur bedingt abgewehrt werden, da ein Teil der Sonderzahlung umgewandelt wird in freie Tage resp. der betrieblichen Umwandlungen in freien Tagen anheimgestellt wird.

Fazit

Der Angriff der öffentlichen Arbeitgeber von Bund und Kommunen auf breiter Front konnte in den wesentlichen Elementen abgewehrt werden. Die durchgesetzten Einkommensverbesserungen für alle sind sicherlich kein Grund zum Jubeln – aber sie stellen, gemessen an den Herausforderungen, ein gutes Ergebnis dar. Die Verbesserungen insbesondere für die Pflege sind mehr als positiv zu bewerten.

Ver.di muss in der Zukunft aber stark darauf achten, dass auch die Beschäftigtengruppen und –sparten an den allgemeinen Entwicklungen teilhaben können, die nicht im Fokus der Öffentlichkeit stehen (dieses Mal Gesundheitswesen – früher z.B. Sozial- und Erziehungsdienst).

Die Gewerkschaft hat mit vielen neuen Aktionsformen bewiesen, dass sie zukunftsfähig ist und auch in Zukunft mit ihr zu rechnen sein wird.

Wenn auch zum Abschluss der Auseinandersetzung doch noch ein wenig Glück dazukam: das Ergebnis wurde gerade noch vor dem rasanten Anstieg der Infektionen im Rahmen der zweiten Welle erzielt – es mussten schon diverse Kundgebungen in der letzten Phase der Auseinandersetzung wegen extrem steigende Inzidenzzahlen abgesagt werden.