Die Werbeikone für den Onlineriesen Amazon ist weltweit ein lachender Pappkarton. So freundlich er auch aussieht, er ist und bleibt ein Pappkarton, der jedoch traurig schaut, wenn er auf den Kopf gestellt wird. Den Beschäftigten bei Amazon ist das Lachen schon lange vergangen, sie müssen dazu keinen Kopfstand machen. Egal in welchem Land: gegen die Arbeitsbedingungen bei dem Handelsriesen gibt es seit Jahren Widerstand in den Belegschaften. Während in der BRD die rund 16.000 Amazon-Beschäftigten die Unterstützung der Gewerkschaft ver.di erhalten in ihrem Kampf um die Tarifbindung und die Einhaltung von Arbeitsrecht, müssen die Kolleginnen und Kollegen in den USA bei dem zweitgrößten Konzern des Landes um das Recht auf Vertretung durch Gewerkschaften im Betrieb kämpfen. Mit allen Mitteln versucht Amazon seit Bestehen des Konzerns, dieses Recht auf gewerkschaftliche Vereinigung zu unterbinden. Dabei gibt es gerade bei Amazon genug Gründe für betriebliche Interessenvertretungen. Amazon steht wegen seiner Arbeitsbedingungen seit langem in der Kritik, der unzureichende Schutz von Beschäftigten rückte während der Pandemie verstärkt in den Fokus. Allein in der US-Belegschaft sind laut Firmenangaben mindestens 20.000 Corona-Fälle aufgetreten. Die Überwachung der Beschäftigten durch den Konzern erfolgt inzwischen fast lückenlos. Gerade wurden in den USA Videokameras mit künstlicher Intelligenz in die Amazon-Lieferfahrzeuge installiert. Als Grund werden Warnungen vor Störungen, Unfällen, Fahrfehlern und Übermüdung des Fahrers genannt. Datenschützer sehen darin laut thenextweb.com "die größte Ausweitung der Unternehmensüberwachung in der Geschichte der Menschheit." In einem ähnlichen Stil werden die Beschäftigten in den großen Logistikzentren beobachtet, insbesondere die, die sich gegen Vorgesetzte und Unternehmensleitung zur Wehr setzen. Gegen fehlenden Arbeitsschutz werden die Kameras freilich nicht eingesetzt. Die Leistungsvorgaben werden von Beschäftigten mit denen von "Spitzensportlern in der National Football League NFL, allerdings ohne deren Bezahlung" verglichen.
Gewerkschaftszulassung in den USA
"Das Recht der Amazon-Beschäftigten auf gewerkschaftliche Vertretung und ihr Recht auf Datenschutz enden nicht am Tor der Logistiklager."
Christy Hoffman, Generalsekretärin der internationalen Dienstleistungsgewerkschaft UNI Global Union
In den USA gibt es das Recht auf Gewerkschaft im Betrieb nur, wenn die Mehrheit der Beschäftigten der Bildung zustimmt. Es war ein harter Kampf für die Belegschaft eines Amazon-Logistikstandortes in Bessemer im US-Bundesstaat Alabama. Trotz Widerstands seitens der Führung setzten die Mitarbeiter eine Abstimmung über die Gründung einer Gewerkschaft durch. Es ist erst das zweite Versandzentrum, in dem eine solche Wahl überhaupt stattfindet. Zuletzt gelang dies 2014 in einer Amazon-Niederlassung in Deleware, in der überwiegend Techniker arbeiten, wo es aber dann aufgrund des Widerstands des Konzerns doch nicht zu einer Gründung kam. Nun wurde im Dezember 2020 einem Antrag der Gewerkschaft Retail, Wholesale and Department Store Union (RWDSU) auf Abstimmung durch das National Labor Relations Board, das über die Abstimmung entscheidet, zugestimmt. Das National Labor Relations Board erklärte, es gebe "ausreichende konkrete Hinweise" dafür, eine Wahl in dem Betrieb zuzulassen, da angenommen wird, dass mindestens 30 Prozent der Beschäftigten dafür stimmen.
Amazon-Beschäftigte stimmen ab
Mit aller Macht hat der Konzern mit Jeff Bezos an der Spitze versucht zu verhindern, dass die Abstimmung tatsächlich stattfindet. Insbesondere in Alabama, im Süden der USA, ist der Widerstand von Unternehmen gegen Gewerkschaften groß. Das dort geltende "Right-to-work"-Gesetz schließt nach dem Grundsatz der individuellen Vertragsfreiheit verbindliche Interessenvertretungen für einen ganzen Betrieb aus. In einem Artikel in der Washington Post vom 16.12.2020 wird das Amazon-Argument wiedergegeben, die Belegschaft in Alabama sei viel zu groß, um feststellen zu können, ob der Antrag der Gewerkschaft genügend Unterstützung für eine Zulassung habe. Von Infomaterialien gegen Gewerkschaften, über die Drohung, dass unklar ist ob es das Amazon-Lager nach der Wahl noch gibt, bis hin zu kürzeren Ampelschaltungen vor dem Werk um die Flugblattverteilung der Gewerkschaften zu verhindern, versucht Amazon die Abstimmung über die Interessenvertretung im Betrieb mit allen Mitteln zu torpedieren. Der Konzern ködert unzufriedene Beschäftigte mit Prämien zwischen 2.000 und 3.000 Dollar zur eigenen Kündigung, weil er davon ausgeht, dass diese wohl mit höherer Wahrscheinlichkeit einer Gewerkschaftsgründung zustimmen würden. Auch die von der US-Arbeitsbehörde aufgrund der Corona-Pandemie angeordnete Briefwahl zur Abstimmung, wollte Amazon nicht hinnehmen. Das Management bestanden darauf, die Abstimmung vor Ort (vor ihren Augen) in einem Hotel stattfinden zu lassen. Dies untersagte die Aufsichtsbehörde - für die Gewerkschaft und die aktiven Kolleg*innen ein erster Sieg. Am 8. Februar 2021 haben im Bundesstaat Alabama die rund 6.000 Beschäftigten des Logistikzentrum in Bessemer mit der Abstimmung begonnen. Die Wahl läuft bis zum 29. März. Die US-Handelsgewerkschaft RWDSU hofft auf einen Erfolg, mit dem es für den ersten Standort von Amazon in den USA eine Gewerkschaftsvertretung geben würde. Mit der Gewerkschaft und den kämpfenden Kolleg*innen in Alabama solidarisieren sich viele der inzwischen mehr als 1,1 Millionen Beschäftigten aus den inzwischen weltweit vernetzten Amazon-Logistikzentren. Gewerkschaftsgruppen in der USA riefen den 20. Februar zu einem Solidaritätstag mit der Belegschaft in Alabama aus. Sie informierten in ihren Zentren, an ihrem Arbeitsplatz über die laufende Abstimmung. Unerwartete Unterstützung erhielten die Beschäftigten bei Amazon in Alabama/USA am letzten Februarsonntag.
"Gewerkschaften legen Macht in die Hände der Arbeiter. Jeder Arbeiter sollte die freie und faire Wahl haben, einer Gewerkschaft beizutreten"
Joe Biden, Präsident der USA
US-Präsident Joe Biden stellte sich über Twitter mit einem Video hinter die Beschäftigten des Online-Handelsriesen. Biden erklärte: "Arbeiter in Alabama und überall in Amerika stimmen darüber ab, an ihrem Arbeitsplatz eine Gewerkschaft zu gründen." Das sei von "großer Bedeutung". Nach Meinung Bidens, dürfen die Arbeiter*innen nicht eingeschüchtert, bedroht oder mit "Propaganda" gegen Gewerkschaften beeinflusst werden. Biden fügte hinzu: "Jeder Arbeiter sollte die freie und faire Wahl haben, sich einer Gewerkschaft anzuschließen." Biden versicherte, dass seine Regierung "gewerkschaftliche Organisierung und kollektive Verhandlungen" unterstützt. "Verschaffen Sie sich Gehör", rief er die Amazonarbeiter*innen auf. Die bis Ende März stattfindende Abstimmung zur Gründung einer Gewerkschaft, kann richtungsweisend für die Beschäftigten bei Amazon sein. Ein Ergebnis, dass sich deutlich für die gewerkschaftliche Interessenvertretung im Betrieb ausspricht, wird eine nachfolgende Welle in anderen Standorten in den USA auslösen. Amazon müsste dann nicht nur dort, sondern auch in anderen Ländern Gespräche mit den Gewerkschaften führen, die das Amazon-Management bisher immer abgelehnt hat. Auch die in den BRD von ver.di seit 2013 geforderte Tarifbindung rückt dann, verbunden mit weiteren Kämpfen der Gewerkschafter*innen an den Logistikzentren, ein Stück näher.