Wenn Gewerkschaften unter der Parole "gemeinsam für Gerechtigkeit" entstanden sind, dann haben gestern (22.3.) die italienischen Gewerkschaften für das Transportwesen - Filt Cgil, Fit Cisl und Uiltrasporti - eine Rückkehr zu den Ursprüngen vollbracht, indem sie die Kämpfe von 40.000 Beschäftigten zusammengebracht haben, die nur durch die Tatsache vereint sind, den Boss des Online-Händlers Amazon, Jeff Bezos, immer reicher zu machen. Der gewerkschaftliche Organisationsgrad in der gesamten Lieferkette ist naturgemäß niedrig, sagt Danilo Morini von der nationalen Leitung der Filt Cgil. "Indem wir die Lieferkette zusammengeführt haben, haben wir jedoch die stärksten Elemente vereint", erklärt Morini weiter. Der gestrige Streik ist der erste Fall in der Welt, in dem sich die Arbeiter*innen der gesamten Lieferkette von Amazon, von den Lagern bis zu den Kurieren, an einem Streik beteiligen: die 9.000 festen Mitarbeiter von Amazon Italy Logistics, die in riesigen Lagerzentren und in den kleinsten Stationen über die Halbinsel verstreut sind, weitere 9.000 befristet Beschäftigte sowie ca. 1.500 Leiharbeiter*innen. Am stärksten war die Streikbeteiligung bei den ca. 19.000 Fahrer*innen, von denen keiner ein direkter Amazon-Beschäftigter ist, die es aber in der Pandemie ermöglichen, ein fast normales Leben zu führen, weil sie jede Art von materiellen Gütern nach Hause bringen.
Gewerkschaften appellieren an die Verbraucher*innen
"Unentbehrliche Arbeitskräfte, wie sie ständig von allen definiert werden, wie wir sie sicherlich alle wahrgenommen haben und weiterhin wahrnehmen, aber sie werden nicht als solche behandelt", heißt es in einem gemeinsamen Schreiben der drei Gewerkschaften an die italienischen Haushalte. Die Fahrer*innen müssen "den Angaben eines Algorithmus folgen, der weder die Normen der Regulierung der Zeiten des Lebens und der Arbeit kennt, noch viel weniger die des Verkehrs unserer Städte", heißt es weiter. "In den Lagern", so fahren Filt Cgil, Fit Cisl und Uiltrasporti in dem Appell an die Bürger*innen fort, "arbeiten sie 8 Stunden mit einer Mittagspause von einer halben Stunde, ohne Kontrolle der Arbeitsschichten. Keine Verhandlungen, keine Diskussion mit den Vertretungsorganisationen über das auferlegte Arbeitstempo und für die Anerkennung von Gewerkschaftsrechten. Keine Sozialklausel oder Beschäftigungskontinuität für Fahrer*innen im Falle eines Lieferantenwechsels. Keine Entschädigung für die gestiegenen Belastungen durch Covid-19."
Arbeit - Rechte - Würde
"Es geht um den Respekt für die Arbeit, um die Würde der Arbeiter*innen, um die Sicherheit für sie und für Sie. Deshalb brauchen wir, um diesen Kampf um Gerechtigkeit und Zivilität zu gewinnen, die Solidarität aller Kundinnen und aller Kunden von Amazon", schließt der Appell der Gewerkschaften an die Amazon-Kund*innen. Diese Losung wurde in den Sprechchören und Reden immer wieder aufgegriffen: "Arbeit - Rechte - Würde" skandierten die Streikenden vor den Toren der Amazon-Niederlassungen. Der 24-stündige Streik war vor zehn Tagen angekündigt nach dem Scheitern der Verhandlungen mit Amazon und dem Unternehmerverband Assoespressi beschlossen worden. Amazon weigert sich, die Vorschläge der Beschäftigten und ihrer Organisationen aufzugreifen und legte Forderungen auf den Tisch, die in den Frühkapitalismus zurückführen würden: 26 verpflichtende Arbeitssonntage für Fahrer*innen, Verlängerung der Arbeitszeit auf 44 Stunden pro Woche, verteilt auf 6 statt 5 Tage (mit nur einem freien Tag), Einbeziehung der Feiertage in die normale Rotation, Lohnausfall für die ersten 3 Krankheitstage, Kontrolle der Fahrer*innen mittels GPS und der Lagerarbeiter*innen durch Kameras (mit der Möglichkeit, die Kontrolle zu disziplinarischen Zwecken zu nutzen), Erhöhung der Zahl der Leiharbeiter*innen, Aushilfen und Arbeiter*innen auf Abruf, Einschränkung des Streikrechts. Daraufhin riefen die drei großen Transportgewerkschaften alle 40.000 Arbeiter*innen der Lieferkette zum Streik für die Reduzierung der Arbeitsbelastung und die Vereinheitlichung der Arbeitsbedingungen. Zu den Forderungen der Einheitlichen Plattform von Filt Cgil, Fit Cisl und Uiltrasporti gehören Reduzierung der Arbeitsbelastung und der Arbeitstakte, die Kontrolle der auferlegten Belastungen und Arbeitsrhythmen, die Überwachung und Vereinbarung von Arbeitsschichten, die Reduzierung der Arbeitszeiten der Fahrer*innen, eine Sozialklausel und die Kontinuität der Beschäftigung für alle im Falle eines Vertrags- oder Lieferantenwechsels, die Absicherung von Zeit- und Leiharbeiter*innen und die Einhaltung der Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften. "An erster Stelle der Plattform steht ein banaler, aber grundlegender Wunsch aller Arbeiter*innen, die wir in diesem Jahr kontaktiert haben", erklärt Danilo Morini von Filt CGIL: "die Überwachung von Arbeitstakten und der Arbeitsbelastungen. Mit der Pandemie verdoppelte sich das Arbeitsvolumen, nicht verdoppelt hat sich die Zahl der Beschäftigten. Es gibt viele unzumutbare Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen in den Lagern und für die Fahrer*innen."
"Ein Protest über unsere Erwartungen hinaus"
Gestern Abend waren die drei Gewerkschaftsverbände erleichtert angesichts des Erfolgs des Streiks. "Es ist ein erfolgreicher Protest - sogar über unsere Erwartungen hinaus, wenn man bedenkt, dass viele Arbeiter*innen sich 'erpresst' fühlen, weil sie atypische Verträge haben und deshalb den Protest als eine Gefahr für ihre prekären Arbeitsplätze gesehen haben", erklären Filt CGIL, Fit Cisl und Uiltrasporti.
"Gewerkschaften sind Teil der Geschichte unseres Landes" Michele De Rose, Filt Cgil
Der nationale Sekretär von Filt Cgil, Michele De Rose, betont: "Es ist der erste Streik der Amazon-Lieferkette in Italien und sicherlich in Europa - eine Initiative, die selbst in den Vereinigten Staaten keinen Vergleich hat. Das amerikanische multinationale Unternehmen muss zur Kenntnis nehmen, dass die Gewerkschaft ein Teil der Geschichte unseres Landes ist und es sich mit den Vertreter*innen der Arbeiter*innen auseinandersetzen muss, unter Beachtung eines korrekten Systems der gewerkschaftlichen Beziehungen und der Schutzmaßnahmen und Regeln, die für Logistik, Fracht und Schifffahrt vorgesehen sind." Filt-Cgil, Fit-Cisl und Uiltrasporti schlussfolgern: "Wir erwarten, dass Amazon in kürzester Zeit ein Treffen einberuft, ansonsten sehen wir uns gezwungen, den Protest fortzusetzen."
Amazon USA: Black Lives Matter unterstützt Gewerkschaft
Die italienischen Gewerkschaften sandten an ihrem Streiktag Grüße zu ihren Kolleg*innen bei Amazon in Alabama. Dort läuft seit Anfang Februar und noch bis zum 29. März die Abstimmung der 6.000 Beschäftigten, ob sie eine Gewerkschaft gründen wollen oder nicht. Sie benötigen mehr als 50 Prozent der Beschäftigten, weil das republikanisch geführte Alabama zu den 25 Staaten gehört, die ein "Right-to-Work"-Gesetz verabschiedet haben: Was wie eine gute Sache klingt, schränkt in Wirklichkeit die Möglichkeiten der Gewerkschaften ein, Beschäftigte zu organisieren. Wo es diese Gesetze gibt, sinkt die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder und die Löhne sind niedriger. Wie überall in den USA gehören auch bei Amazon die "unverzichtbaren" Arbeitskräfte vor allem Minderheiten an: Die Hälfte der Amazon-Mitarbeiter*innen sind Afroamerikaner*innen oder Hispanics - in der Niederlassung in Alabama sogar 85 Prozent -, bei den Managern sind es nur 20 Prozent. Dies ist einer der Gründe, warum die Black Lives Matter-Bewegung die Gewerkschaft bei der Kampagne unterstützt und mit einer Karawane zu Amazon in Bessemer kam. Gestern Abend (22.3.) sprach Reverend William J. Barber II, der die Poor People's Campaign leitet, während einer Kundgebung vor der Amazon-Niederlassung. Amazon macht keinen Hehl aus seiner Verärgerung über die Gewerkschaft: "Bei Amazon schätzen wir die direkte Beziehung zu den Mitarbeitern. Diese Verbindung ist der beste Weg, um auf ihre Bedürfnisse einzugehen und die Innovation und Flexibilität zu unterstützen, die der Schlüssel zu unserem Erfolg sind. Gewerkschaften sind eine Bedrohung für diese direkte Beziehung." Deutlicher als in dieser Erklärung von Amazon, lässt sich die Gewerkschaftsfeindlichkeit des Unternehmens nicht ausdrücken. Neu ist allerdings, dass sich die politischen Verhältnisse in Washington geändert haben. Präsident Biden nahm eine Videobotschaft auf, in der er die Gewerkschaft unterstützt und die Amazon-Arbeiter*innen auffordert, sich an der Abstimmung zu beteiligen: "Ob ein Arbeitsplatz eine Gewerkschaft haben sollte, müssen die Arbeiter entscheiden, nicht die Vorgesetzten." Gleichzeitig hat das Repräsentantenhaus einen Gesetzentwurf verabschiedet, der Hindernisse beseitigen würde, die dazu beitragen, Gewerkschaften von Arbeitsplätzen fernzuhalten. Die Verabschiedung des Gesetzentwurfs im Senat wird kompliziert sein, aber deutlich wird, dass nach Jahrzehnten gewerkschaftsfeindlicher Politik auch in Washington ein neuer Wind weht.