Zum Jahresende im Jahr 2020 verständigten sich die Handelspartner EU und die VR China nach 7 Jahren Verhandlungen auf Kernpunkte des CAI, Comprehensive Agreement on Investment, mit dem Ziel, die wirtschaftliche Zusammenarbeit der EU-Länder mit der Wirtschaftsmacht China zu stärken. In einer sich anschließenden Vertragsformulierungs-phase sollte etwas bis dato, also z.B. der 01.04.2022 ein ratifizierungsreifer Vertragstext ausgearbeitet werden. Die getroffene Vereinbarung sollte den Zugang von europäischen Firmen zum chinesischen Markt in geregelte Bahnen lenken und umgekehrt. Ein ergänzendes Investitionsschutz-Abkommen in Form eines Freihandelsvertrages sollte im Zuge der Verhandlungen mit eingebaut werden. Die EU-Kommission zeigte sich zunächst, in Siegerpose, davon überzeugt, die chinesischen Vertragshändler zu 3 elementaren Zugeständnissen bewegt zu haben. Die Vereinbarung würde die Chancen von Europas Wirtschaft deutlich verbessern:

  • Erleichterter Marktzugang für europäische Unternehmen
    Aus dem EU-Raum stammenden Unternehmen der Branchen Automobile, Flugverkehr, Energie-, Finanz und Gesundheitssektor sowie Cloud-Dienstleistungen sollen Investitionen weitgehend barrierefrei ermöglicht werden.
  • Faire Wettbewerbsbedingungen, keine Bevorzugung staatlicher Unternehmen
    Eine Homogenisierung der geltenden Technologietransfers bei Investitionen, Transparenz der Abläufe bei Subventionen im Dienstleistungssektor und marktkonforme Auflagen für chinesische Staatsunternehmen sollen eine Gleichbehandlung für europäische und chinesische Unternehmen in der Marktbearbeitung vorgeben. Der sogenannte „Joint-Venture-Zwang“ fällt weitgehend weg. Europäische Firmen müssen sich also nicht mehr als notwendige Bedingung mit chinesischen Partnerbetrieben zusammentun und ihre Technologien teilen. Damit würde auch das geistige Eigentum und know how besser geschützt.
  • Akzeptanz bei Standards Umwelt, Klima, soziale Verantwortung und Arbeitsschutz
    China stimmt der Einhaltung internationaler Nachhaltigkeitsstandards zu, etwa im Umwelt- und Arbeitsschutzbedingungen für Beschäftigte. Der Bereitwilligkeit der chinesischen Seite zu einer vertraglichen Vereinbarung zu kommen, begegnete die EU-Kommission mit geforderten weiteren Zugeständnissen zu mehr Reziprozität[1].

Zu guter Letzt sind auch die Vorwürfe der Menschenrechtsverletzungen gegenüber Ethnien in der Teil-Autonomieregion Xinjiang im Nordwesten der chinesischen Republik zum Vertragsbestandteil erhoben worden. Bezüglich der Besetzung der Führungsebene in Unternehmen sowie in Non-Profit Organisationen, z. B. Wirtschaftsverbände, sah das Vertragswerk auch ein Mitspracherecht der chinesischen Behörden vor, was zu massiven Vorbehalten seitens der EU führte. Und dennoch bewerteten die beteiligten Vertreter der deutschen und europäischen Industrie die einzelnen Bausteine des Abkommens als ein positives Konstrukt zur weiteren Förderung der gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen, zumal die gelebte Wirtschaftspraxis in den zurückliegenden Jahren die gegenseitigen Wirtschaftsbeziehungen eher beflügelt haben. Ein aktuelles Beispiel demonstriert der Autohersteller BMW, der im Februar 2022 die seit 2018 praktizierte Mehrheitsbeteiligung im Gemeinschaftswerk in China übernommen hat. Zudem verweist die Mitteilung der PR-Abteilung der BMW AG, dass im chinesischen BMW Werk in Shenyang ein Elektro-Fahrzeug e-Auto (3er Reihe) speziell für den chinesischen Markt ab Mai 2022 gefertigt wird.

Das Gipfeltreffen zwischen EU und China, April 2022 – kein Ergebnis zum Investitionsabkommen

Bei dem geplanten virtuellen Treffen sollte es ursprünglich vor allem um die weitere Auslotung bzw. Verbesserung der Wirtschaftsbeziehungen gehen. Mittlerweile ist die VR China der wichtigste Handelspartner der EU und die EU der wichtigste Handelspartner von China.

Handelsvolumen Ukraine im Vergleich (Mrd. US-Dollar)

Aber schon im Vorfeld des für den 1. April diesen Jahres anberaumten Video-Talks zwischen der Vorsitzenden der EU-Kommission Ursula von der Leyen, EU-Ratspräsident Charles Michel und auf chinesischer Seite dem chinesischen Premier Li Keqiang und dem Staatspräsidenten Xi Jinping war erkennbar, dass der Austausch aufgrund des Ukraine-Krieges einen Abschluss des Investitionsabkommens in weite Ferne rücken lassen würde. So kam in Sachen Investitionsabkommen kam nicht einmal ein gemeinsames Statement zustande. Die Stellungnahme von Rats-Präsident Charles Michel lautete nach dem EU-China-Gipfel per Videokonferenz wie folgt:

Wir haben auch unsere Handels- und Wirtschaftsbeziehungen mit China erörtert, um sie fairer zu gestalten, Gegenseitigkeit zu gewährleisten, gleiche Wettbewerbsbedingungen zu schaffen und unsere bilateralen Handels- und Investitionsbeziehungen wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Die Position Chinas im Ukrainekrieg

Im Ukrainekrieg bezeichnet sich die chinesische Staatsführung selbst als neutral. China hatte sich im Abstimmungsverhalten der Staaten der Vereinten Nationen gegenüber Russland seiner Stimme enthalten. Doch der Ukrainekrieg scheint neben Fragen des gemeinsamen Vorgehens gegen die fortschreitende Klimaerwärmung, der weltweiten Pandemie-Bekämpfung auch die wirtschaftliche Zusammenarbeit der EU mit China grundsätzlich auf den Prüfstand zu stellen. Der Verhandlungsseite der EU ging es im Gipfelgespräch insbesondere darum, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der EU und China grundsätzlich in Frage zu stellen, wenn China sich nicht klar gegen den russischen Angriffs-Krieg ausspreche und sich international von Russland distanziere. Es erscheint naheliegend, dass die EU damit erreichen will, eine direkte chinesische Hilfe für die russische Führung zu verhindern. Für die chinesische Staatsführung ist der Krieg Russlands gegen die Ukraine von der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der EU ein separater Vorgang. „Die Beziehungen zwischen China und Europa und die zwischen China und Russland sind völlig verschiedene Angelegenheiten“, betonte Außenminister Wang. In seinem Dialog mit dem ukrainischen Außenminister Dmyro Kubela Anfang März diesen Jahres drückte Wang sein tiefes Bedauern über den aktuellen Konflikt aus. Er betonte sein Mitgefühl insbesondere gegenüber den zivilen Opfern in der Ukraine. China sei bereit, die laufenden Verhandlungen zwischen beiden Seiten über einen Waffenstillstand zu unterstützen. Der chinesische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Zhang Jun, hatte auf der Sondersitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen erklärt, dass die sich zuspitzende Situation in der Ukraine nicht im Interesse irgendeiner Partei sei. China unterhält gute Wirtschaftsbeziehungen zur Ukraine Die Ukraine exportiert Waren im Wert von 4,9 Milliarden Dollar und importiert Waren im Wert von 5,5 Milliarden Dollar aus China. Andererseits ist die Ukraine nach Angaben des chinesischen Außenministeriums der drittgrößte Handelspartner Chinas in Eurasien, hinter Russland und Kasachstan. Darüber hinaus unterzeichnete die Ukraine im Jahr 2020 ein Kooperationsabkommen mit China im Rahmen der Belt and Road Initiative, BRI für China ein wichtiger geo-ökonomischer Knotenpunkt in Pekings multipolarer Wirtschaftsinitiative. Für China sei die Ukraine ein wichtiges Tor und eine wichtige Transitdrehscheibe zur EU. Darauf weisen auch die Äußerungen des chinesischen Botschafters Zhang Jun während der Sondersitzung der UN-Generalversammlung am 28. Februar hin: Die Ukraine solle als Kommunikationsbrücke zwischen Ost und West dienen und nicht als Frontlinie für geopolitische Rivalitäten. China sieht sich in einer schwierigen Situation, in der die Aggression Russlands im Widerspruch zu seinem konsequenten Festhalten an der nationalen Souveränität und den Fünf Prinzipien der friedlichen Koexistenz steht. China hat zudem in der Vergangenheit immer wieder betont, dass es die Souveränität der Ukraine respektiert.

Deutsche Wirtschaft für Fortsetzung des Dialogs mit China

Trotz des belasteten politischen Verhältnisses von Deutschland, ein dominanter Akteur in der Beziehung zwischen EU und der VR China, stellt die abstrusen Vorstellungen einer Handvoll selbsternannter Experten, die Wirtschaftsbeziehungen zur VR China notfalls einzustellen, aus rationaler Sicht komplett ins Abseits. Wie der hoffentlich bald zu einem Ende führende Ukrainekrieg auch ausgehen und neue Maßstäbe für eine neue internationale Wirtschaftsordnung hervorbringen mag, der Dialog auch über die Grenzen einer systemischen Rivalität hinaus ist durch nichts zu ersetzen. Insofern sind alle pragmatisch begründbaren Intentionen, gerade die wirtschaftlichen Beziehungen über den Handel und die internationalen Lieferketten zu stabilisieren, durch nichts zu ersetzen. Und das sollte auch unter den sich abzeichnenden anderen Vorzeichen und Abhängigkeiten nach einem Ende des Ukrainekrieges aufrechterhalten werden. Diesen Gedanken bringt auch der Hauptgeschäftsführer des BDI, Wolfgang Niedermark mit den Worten zum Ausdruck, dass ein Versuch, sich von China abzukoppeln, ein Irrweg sei. Er setze weiter auf Dialog, um gemeinsam Interessen zu definieren, nicht nur in der Politik. „Unsere Unternehmen sind in China gut vernetzt“, und das müsse auch so bleiben, bei allen Bemühungen einer anzustrebenden „Risikostreuung“. [1] In der Wirtschaftstheorie spricht man von Reziprozität, eine Form von sozialen Präferenzen, wenn die Akteure neben ihrem materiellen Eigennutz auch Vorlieben für das Wohlergehen oder den Erfolg anderer Akteure aufweisen, z.B. von allen Partnern befürwortete Fairnessmotive.