Die anhaltende kriegerische Eskalation des Russland-Ukraine-Konflikts hat weltweit schon tiefe Spuren hinterlassen. Und in der nächsten Zeit ist kein Ende des Konflikts in Sicht. Der Krieg hat bereits zu zehntausenden Toten und Verletzten, zu Zerstörungen von lebensnotwendigen Einrichtungen und Infrastrukturen, geführt. Die von den USA und der NATO bereitgestellten Panzer, Raketen und anderen hochentwickelten Waffen erreichen das sich ausweitende Schlachtfeld, begleitet von medialer Kriegsbesoffenheit und einem moralisierendem Endsieg-Fanatismus, während Russland mehr Personal mobilisiert, um  in seinem kriegerischen Vorgehen ebenso eine militärische Lösung anzustreben.

Eine diplomatische Lösung hatte sich bis jetzt nicht ergeben.  Anstelle von Friedensgesprächen haben sich die Kriegs- und Konfliktparteien weiter in eine gefährliche militärische Eskalationsspirale durch den Einsatz immer stärkerer Waffensystemen verfangen.[1] Die Nutznießer dieser Kriegshandlungen lassen sich belegen und beschreiben: https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5058-ausgestorben-zu-viel-panzer-zu-wenig-hirn

Die Mentalität des Kalten Krieges, die seit dem oft zitierten Ende des Kalten Krieges nicht nachgelassen hat, hat in Verbindung mit den hegemonialen Ansprüchen der selbsternannten Verfechter einer regelbasierten Ordnung zu einer ständigen Erweiterung der NATO geführt. Deren von den USA bestimmte Expansionsstrategie läuft dem Verständnis eines multipolaren öffentlichen Interesses zuwider. Die harte Realität des vergangenen Jahres hat der Welt ein recht eindeutiges Verständnis für das Weltordnungs-Narrativ der USA vermittelt.
Damit sind die hegemonialen Ansprüche Russlands zur Absicherung der eigenen Einfluss-Sphäre, die im zeitlichen Verlauf inzwischen eine höhere Priorität als die unterstützenswerte gesamt-europäische Sicherheitsarchitektur einzunehmen scheinen, gegen das genannte globale öffentliche Interesse gerichtet.

Der Globale Süden meldet sich

In die immer lauter werdenden Rufe nach einem Waffenstillstand  im Ukraine-Krieg und nach Verhandlungen reihen sind vor allem die Gesprächsinitiativen und Bemühungen aus dem Globalen Süden ein. Hierbei sind stellvertretend die Vorstöße des brasilianischen Präsidenten da Silva, die erklärte Bereitschaft des indischen Premiers Narenda Modi zur Teilnahme an jedem Friedensprozess und vor allem das von China Veröffentlichte Positionspapier  "Chinas Position zur politischen Beilegung der Ukraine-Krise" zu benennen,  in dem die chinesische Haltung in 12 Punkten systematisch dargelegt wird. [2]  
Als verantwortungsbewusstes großes Land ist China zwar nicht an der Ukraine-Krise beteiligt, aber signalisiert unüberhörbar seine Bereitschaft,  eine konstruktive Rolle bei der Förderung einer Lösung zu spielen. Dieses Dokument zeigt m.E. die Aufrichtigkeit und den guten Willen Chinas, Friedensgespräche aktiv zu fördern. China hat in jüngster Zeit mehrfach eine faktisch belegbare konstruktive  Rolle im Rahmen der  heutigen Strukturen der Weltgemeinschafts-Organisationen bewiesen.

Das Land strebt eine größtmögliche Konvergenz der Interessen in der Weltordnungspolitik an. Mit seiner gesellschaftspolitisch-ideologischen Ausrichtung sind seine außenpolitischen Bestrebungen auf den Aufbau einer Staaten-Gemeinschaft unter Einbeziehung gegenseitiger wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Beziehungen ausgerichtet, um mehr Konsens zu schaffen, größere Kräfte zu bündeln und mehr Maßnahmen für die Sache der globalen Entwicklung und Sicherheit zu ergreifen. [3]

Kurz vor der Veröffentlichung des im folgenden dargelegten 12-Punkte-Programms hatte China der internationalen Gemeinschaft ein weiteres erwähnenswertes Konzeptpapier veröffentlicht:

Konzeptpapier zur Globalen Sicherheitsinitiative (GSI)

In einem am 22. Februar d.J. veröffentlichten Konzeptpapier zur Globalen Sicherheitsinitiative (GSI) ruft China die internationale Gemeinschaft dazu auf, die sicherheitspolitischen Herausforderungen "im Geiste der Solidarität" anzugehen, während die Spannungen zwischen China und den USA zunehmen und der Krieg zwischen Russland und der Ukraine anhält. In dem Papier wird dargelegt, wofür China bereits im April 2022 während eines Asien Forums  für eine universelle und gemeinsame Sicherheit eintritt und Unilateralismus und eine Mentalität des Kalten Krieges ablehnt. "Sicherheit ist ein Recht aller Länder der Welt und nicht das exklusive Recht einiger Länder. Sie sollte nicht von einigen einzelnen Ländern entschieden werden" betont der Außenminister Qin Gang anlässlich  der Veröffentlichung des Papiers. [4]

Mehr als 80 Länder und Organisationen haben ihre Unterstützung für die Initiative bereits zum Ausdruck gebracht, Der chinesische Außenminister betont,  dass China in Zukunft hochrangige GSI-Veranstaltungen "zu einem geeigneten Zeitpunkt" ausrichten werde.
Die Globale Sicherheitsinitiative GSI zielt darauf ab, die Ursachen internationaler Konflikte zu beseitigen, globale  Sicherheits-Regeln (Sicherheitsgovernance) zu fördern und gemeinsame Anstrengungen zu unterstützen, um mehr Stabilität und Sicherheit in eine Zeit zu bringen, die "voller Herausforderungen" sei.

Chinas Konzeption und Position zur politischen Beilegung der Ukraine-Krise

Im erwähnten in 12-Punkten dargelegten Positionspapier bringt die chinesische Staatsregierung erneut ihre Ablehnung gegenüber dem Kriegstreiben zum Ausdruck und betont den erforderlichen Respekt gegenüber der Souveränität aller Länder.
Die eskalierende Kriegsrhetorik einschließlich der Drohung  des Einsatzes atomarer Waffen weist China klar zurück.
Die China-Initiative beinhaltet ebenso einen Appell an alle Staaten, unterstützend tätig zu werden, um eine Beilegung der kriegerischen Auseinandersetzung zu beenden und zu verhandeln. [5]

Die 12 Punkte im Einzelnen
  1. Die Souveränität aller Länder ist zu respektieren. Das allgemein anerkannte Völkerrecht, einschließlich der Ziele und Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen, muss strikt eingehalten werden. Die Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Unversehrtheit aller Länder muss wirksam gewahrt werden. Alle Länder, ob groß oder klein, stark oder schwach, reich oder arm, sind gleichberechtigte Mitglieder der internationalen Gemeinschaft. Alle Parteien sollten gemeinsam die grundlegenden Normen für die internationalen Beziehungen aufrechterhalten und für internationale Fairness und Gerechtigkeit eintreten. Die gleichmäßige und einheitliche Anwendung des Völkerrechts ist zu fördern, während doppelte Standards abgelehnt werden müssen. 
  2. Abkehr von der Mentalität des Kalten Krieges. Die Sicherheit eines Landes sollte nicht auf Kosten anderer Länder angestrebt werden. Die Sicherheit einer Region sollte nicht durch die Stärkung oder Ausweitung von Militärblöcken erreicht werden. Die legitimen Sicherheitsinteressen und -belange aller Länder müssen ernst genommen und angemessen berücksichtigt werden. Es gibt keine einfache Lösung für ein komplexes Problem. Alle Parteien sollten gemäß der Vision einer gemeinsamen, umfassenden, kooperativen und nachhaltigen Sicherheit und mit Blick auf den langfristigen Frieden und die Stabilität in der Welt dazu beitragen, eine ausgewogene, effektive und nachhaltige europäische Sicherheitsarchitektur zu schaffen. Alle Parteien sollten sich dem Streben nach eigener Sicherheit auf Kosten der Sicherheit anderer widersetzen, eine Blockkonfrontation verhindern und sich gemeinsam für Frieden und Stabilität auf dem eurasischen Kontinent einsetzen.
  3. Beendigung der Feindseligkeiten. Konflikte und Kriege sind für niemanden von Vorteil. Alle Parteien müssen rational bleiben und Zurückhaltung üben, es vermeiden, die Flammen zu schüren und die Spannungen zu verschärfen, und verhindern, dass sich die Krise weiter verschlechtert oder gar außer Kontrolle gerät. Alle Parteien sollten Russland und die Ukraine dabei unterstützen, in die gleiche Richtung zu arbeiten und den direkten Dialog so schnell wie möglich wieder aufzunehmen, um die Situation schrittweise zu deeskalieren und schließlich einen umfassenden Waffenstillstand zu erreichen. 
  4. Wiederaufnahme der Friedensgespräche. Dialog und Verhandlungen sind die einzige praktikable Lösung für die Ukraine-Krise. Alle Bemühungen, die zu einer friedlichen Beilegung der Krise beitragen, müssen gefördert und unterstützt werden. Die internationale Gemeinschaft sollte sich weiterhin für den richtigen Ansatz zur Förderung von Friedensgesprächen einsetzen, den Konfliktparteien dabei helfen, so bald wie möglich die Tür zu einer politischen Lösung zu öffnen, und Bedingungen und Plattformen für die Wiederaufnahme von Verhandlungen schaffen. China wird in dieser Hinsicht weiterhin eine konstruktive Rolle spielen. 
  5. Beilegung der humanitären Krise. Alle Maßnahmen, die dazu beitragen, die humanitäre Krise zu lindern, müssen gefördert und unterstützt werden. Humanitäre Maßnahmen sollten den Prinzipien der Neutralität und Unparteilichkeit folgen, und humanitäre Fragen sollten nicht politisiert werden. Die Sicherheit der Zivilbevölkerung muss wirksam geschützt werden, und es sollten humanitäre Korridore für die Evakuierung der Zivilbevölkerung aus den Konfliktgebieten eingerichtet werden. Es müssen Anstrengungen unternommen werden, um die humanitäre Hilfe in den betroffenen Gebieten zu verstärken, die humanitären Bedingungen zu verbessern und einen schnellen, sicheren und ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe zu gewährleisten, um eine humanitäre Krise größeren Ausmaßes zu verhindern. Die Vereinten Nationen sollten bei der Koordinierung der humanitären Hilfe für die Konfliktgebiete unterstützt werden.
  6. Schutz von Zivilisten und Kriegsgefangenen. Die Konfliktparteien sollten sich strikt an das humanitäre Völkerrecht halten, Angriffe auf Zivilisten oder zivile Einrichtungen vermeiden, Frauen, Kinder und andere Opfer des Konflikts schützen und die Grundrechte der Kriegsgefangenen achten. China unterstützt den Austausch von Kriegsgefangenen zwischen Russland und der Ukraine und fordert alle Parteien auf, günstigere Bedingungen für diesen Zweck zu schaffen.
  7. Sicherheit von Kernkraftwerken. China lehnt bewaffnete Angriffe auf Kernkraftwerke oder andere friedliche kerntechnische Anlagen ab und fordert alle Parteien auf, das Völkerrecht, einschließlich des Übereinkommens über nukleare Sicherheit, einzuhalten und von Menschen verursachte nukleare Unfälle entschlossen zu vermeiden. China unterstützt die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) dabei, eine konstruktive Rolle bei der Förderung der Sicherheit friedlicher Nuklearanlagen zu spielen.
  8. Verringerung der strategischen Risiken. Atomwaffen dürfen nicht eingesetzt und Atomkriege dürfen nicht geführt werden. Die Androhung oder der Einsatz von Atomwaffen sollte abgelehnt werden. Die Weiterverbreitung von Kernwaffen muss verhindert und eine nukleare Krise vermieden werden. China lehnt die Erforschung, Entwicklung und den Einsatz von chemischen und biologischen Waffen durch jedes Land unter allen Umständen ab.
  9. Erleichterung der Getreideexporte. Alle Parteien müssen die von Russland, der Türkei, der Ukraine und den Vereinten Nationen unterzeichnete Schwarzmeer-Getreide-Initiative in ausgewogener Weise vollständig und wirksam umsetzen und die Vereinten Nationen dabei unterstützen, eine wichtige Rolle in dieser Hinsicht zu spielen. Die von China vorgeschlagene Kooperationsinitiative zur globalen Ernährungssicherheit bietet eine praktikable Lösung für die globale Nahrungsmittelkrise.
  10. Beendigung einseitiger Sanktionen. Einseitige Sanktionen und maximaler Druck können das Problem nicht lösen; sie schaffen nur neue Probleme. China lehnt einseitige, vom UN-Sicherheitsrat nicht genehmigte Sanktionen ab. Die betroffenen Länder sollten aufhören, einseitige Sanktionen und die "weitreichende Gerichtsbarkeit" gegen andere Länder zu missbrauchen, um ihren Teil zur Deeskalation der Ukraine-Krise beizutragen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass die Entwicklungsländer ihre Wirtschaft ausbauen und die Lebensbedingungen ihrer Bevölkerung verbessern können.
  11. Aufrechterhaltung der Industrie- und Lieferketten. Alle Parteien sollten sich ernsthaft für den Erhalt des bestehenden Weltwirtschaftssystems einsetzen und sich dagegen wehren, die Weltwirtschaft als Werkzeug oder Waffe für politische Zwecke zu benutzen. Es bedarf gemeinsamer Anstrengungen, um die Auswirkungen der Krise abzumildern und zu verhindern, dass sie die internationale Zusammenarbeit in den Bereichen Energie, Finanzen, Lebensmittelhandel und Verkehr stört und die weltweite wirtschaftliche Erholung untergräbt.
  12. Förderung des Wiederaufbaus nach Konflikten. Die internationale Gemeinschaft muss Maßnahmen ergreifen, um den Wiederaufbau nach Konflikten in Konfliktgebieten zu unterstützen. China ist bereit, dabei Hilfe zu leisten und eine konstruktive Rolle zu spielen.

Die hörbaren positiven Reaktionen auf die chinesische Initiativen sowie die vielerorts mobilisierten Friedenskräfte geben Anlass zu der Annahme, dass ein gewisser Spielraum für verantwortungsbewußtes politisches Handeln und eine damit verbundene Gesprächsbereitschaft zur Ukraine-Konfliktlösung besteht. Auch wenn das Prinzip Hoffnung zu diesem Zeitpunkt  und in dieser Frage besonders schwächelt und der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine immer noch in einer Pattsituation verharrt, einen langfristigen Zermürbungskrieg mit noch mehr Toten und Zerstörung kann sich niemand leisten.

Die Auswirkungen haben in der internationalen Gemeinschaft große Wachsamkeit geweckt. Die Auswirkungen dieser Krise auf die große Zahl der Länder des Globalen Südens, aber zwangsläufig auch für „uns“, sind direkt und stark spürbar. Gerade deshalb wollen sich die Länder des Globalen Südens nicht einer Seite anschließen, so wie die Abstimmungsergebnisse in internationalen Gremien (UN-Vollversammlung) zeigen. Sie hoffen und wünschen, die beteiligten Parteien zu einer gewaltfreien friedlichen Lösung bewegen zu können.[6]
Vor diesem Hintergrund wird die Bedeutung des Positionspapiers von China am Freitag veröffentlichten Dokuments noch deutlicher.

 Quellen

[1] https://www.telepolis.de/features/Der-Ukraine-Krieg-und-unsere-Pflicht-zum-Frieden-7523687.html?wt_mc=nl.red.telepolis.telepolis-nl.2023-02-25.link.link

[2] China’s Position on the Political Settlement of the Ukraine Crisis. fmprc.govcn 24.02.2023

[3]isw-report 130, China und seine Rolle in einer multipolaren Weltordnung, 2022

[4] https://www.caixinglobal.com/2023-02-21/china-spells-out-global-security-initiative-for- 
  international-conflict-settlement

[5] https://www.globaltimes.cn/page/202302/1286188.shtml

[6] https://www.globaltimes.cn/page/202302/1286188.shtml