In dem in vier Teile gegliederten Bericht über Armut in Deutschland und in Bayern lag der Schwerpunkt in Teil I zunächst auf einer Darstellung von Fakten und offiziell anerkannten Bewertungen von Armut, während Teil II  die zunehmende Armut im Alter erörterte; eine weitere Detaillierung von spezifischen Altersarmutsfragen erfolgte  in Teil III und im vorliegenden Teil IV geht es um neuere, ergänzende  Angaben, Fakten und  Forderungen zur Beseitigung von Armut,  die von verschiedenen Organisationen außerhalb der Parteien aufgrund Ihrer Expertisen und Positionen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht sind.

Die Bayerische Staatsregierung gibt vor, in Sachen Sozialleistungsbereich bundesweit sehr gut abzuschneiden. Bei genauerem Hinsehen und Vergleichen stimmt das so nicht, denn

  • Die Entwicklungstendenzen, vor allem in den westlichen Bundesländern sind sich sehr ähnlich, sie weisen keine allzu großen Unterschiede auf und
  • Die Schere zwischen Arm und Reich ist in Bayern größer als in den meisten anderen Bundesländern.

Zwei ergänzende neuere Zahlen aus dem Jahr 2023 belegen, dass auch in Bayern ein hohes Risiko gegeben ist, arm zu sein bzw. arm zu werden: In Bayern gab es am 31.1.22. insgesamt 17.910 untergebrachte wohnungslose Menschen. Quelle: Destatis: Neue Statistik untergebrachter wohnungsloser Personen in Deutschland; 15.2.2023

Die offizielle Arbeitslosigkeit hat sich in Bayern wie folgt entwickelt:

Arbeitslosigkeit in Bayern

Quelle: BA, Stand Februar 2023

Die Disparitäten  zwischen Anspruch und Wirklichkeit werden größer: Altenpflegeheime schließen ebenso wie ambulante Pflegedienste, es gibt Gruppenschließungen in Krippen, Kindertagesstätten, die Renten ermöglichen tendenziell immer weniger eine Lebensstandardsicherung.

Laut einer Umfrage »Gesundes Miteinander« im Auftrag der DAK-Gesundheit gaben 70 Prozent der Befragten an, daß sich der Zusammenhalt und das Zusammenleben in der Gesellschaft in den vergangenen drei Jahren etwas verschlechtert (43 %) und für 27 % sogar deutlich verschlechtert hat. Es wundert nicht, wenn es zunehmend Menschen gibt, die aufgrund der Entwicklungen und eigenen Betroffenheitswahrscheinlichkeit, das sogenannte Vertrauen in den Staat verlieren. Es geht dabei auch um die Frage, wer den Sozialstaat bezahlen soll, also wer gesellschaftliche Arbeit verrichtet, wo welche Gewinne erzielt werden und wie gesellschaftlicher Wohlstand und Reichtum wie verteilt wird. Was da als Sozialstaat hochgehalten wird, gleicht immer mehr einem löchrigen Käse.  Es wurden und werden Schneisen unter der falschen Überschrift „Reform“ geschlagen.
Stichworte dazu sind: Absenkung des Renteniveaus, Einführung von privaten Renten-Angeboten wie z.B. Riester oder Rürup, die sich dann später als Flop erweisen. Aktuell haben nur noch ca. 60% einen Betriebsrentenanspruch, Tendenz weiter sinkend. Auf die gesetzliche Rente besteht zumindest aktuell noch ein Leistungsanspruch, wenn man eine Reihe von Kriterien erfüllt. Bei Privaten Renteversicherungen bekommt man nur das heraus, was erwirtschaftet wird; das kann dann auch schon mal weniger sein, im Extremfall bekommt man Garnichts.

Die Angabe, Deutschland habe eine der höchsten Abgabenquoten in Europa, stimmt so nicht.  Der Anteil aller Steuer- und Sozialabgaben liegt, gemessen an der Wirtschaftsleistung, bei 36,7 Prozent und befindet sich damit im Mittelfeld der Mitgliedsstaaten der OECD. Es werden dabei überwiegend Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen belastet.  Im Standortwettbewerb sind die Lohnstückkosten maßgebliches Kriterium. Deren Höhe hängt davon ab, wie viel ein Arbeitnehmer in einer Arbeitsstunde schafft. Bei dieser Kennziffer ist Deutschland ausgesprochen wettbewerbsfähig. Steigt die Produktivität, „dürfen“ auch die Lohnkosten steigen. Damit das gelingt, müssen Innovationen, Bildung und Infrastruktur vorangebracht werden. Die von den Menschen erarbeiteten „Lohnnebenkosten“ sind Ausgaben für die soziale Reproduktion, die wiederum nachfragewirksam in den Sozialversicherungsbereichen Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter wirken; die Beschäftigung von Millionen Bürgern sowie die Existenz von zehntausenden Unternehmungen hängen in einem kapitalistischen Gesellschaftssystem letztlich von der Wechselwirkung zwischen Produktion und ihrer sozialen Reproduktion ab, wobei letzteres durch Steuern und Sozialabgaben finanziert wird. So kam auch der Sachverständigenrat für die Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen bereits 2003 zu dem Ergebnis, dass die Behauptung, steigende Beitragssätze („Lohnnebenkosten“) hätten einen negativen Beschäftigungseffekt, nicht belegt ist.

Seit dem Beginn der Sozialgesetzgebung vor rund 140 Jahren war mit Unterbrechungen die Lebensstandardsicherung als Vermeidung von Altersarmut ein Ziel, das proklamiert worden war. Aktuell werden rund 40% der Sozialausgaben als Sachleistungen erbracht, ein großer Teil davon als personalisierte Sachleistungen z.B. in Form der Pflege - das alles sind Leistungen, die von Menschen erbracht werden und Teil der insgesamt erarbeiteten Wirtschaftsleistung darstellen.
Die politisch-ideologische Intention insbesondere der FDP und anderen Wirtschaftsliberalen, die Renten dem Kapitalmarkt preis zu geben, ist nicht nur ein Trugschluß, sondern auch ein weiterer Angriff auf die gesetzliche Alterssicherung – sie soll langfristig geschliffen und einer Vermarktlichung untergeordnet werden erden. Das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung hat dazu in Kooperation mit der Arbeitnehmerkammer Bremen am 22.02.2023 in Berlin eine Fachtagung zum Thema „Alterssicherung über die Kapitalmärkte – stabil und sozial? veranstaltet. https://www.boeckler.de/de/dokumentationen-2720-alterssicherung-ueber-die-kapitalmaerkte-stabil-und-sozial-45566.htm

Handlungsnotwendigkeiten und Forderungen von Organisationen

Einzelne Forderungen von Organisationen aus unterschiedlichen Perspektiven machen die aktuellen Handlungsnotwendigkeiten gegen Armut und Altersarmut deutlich:

Stichwort Armut

Der Paritätische (DPWV) benennt die Kernforderungen:

  • Einführung einer Kindergrundsicherung
  • Längeres und höheres Arbeitslosengeld I
  • Umstellung der gesetzlichen Rentenversicherung auf eine Bürgerversicherung
  • Eine Mietpreisdämpfungspolitik mit Nachschärfung der Mietpreisbremse und einem Mietenstopp

Quelle: Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes stellt folgende vier Forderungen zur aktuellen Armutsbekämpfung auf; Aus: Paritätischer Armutsbericht 2022, aktualisierte 2. Auflage, März 2023

Stichwort Altersarmut

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes haben knapp 1,2 Millionen Menschen im Dezember 2022 Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung bezogen. Hierzu sagt VdK-Präsidentin Verena Bentele: „Immer mehr Rentnerinnen und Rentner sind auf Grundsicherung im Alter angewiesen, weil ihre Rente nicht zum Leben reicht. Will die Bundesregierung ernsthaft gegen Altersarmut vorgehen, muß sie mehr für diejenigen tun, die nach einem langen Arbeitsleben nur eine Rente unterhalb des Existenzminimums erhalten“. Nach Ansicht des VdK ist ein Rentenniveau von mindestens 50 Prozent, idealerweise 53 Prozent notwendig. Zudem müssen Rentnerinnen und Rentner auch etwas von ihrer gesetzlichen Rente behalten dürfen, wenn sie gleichzeitig Grundsicherung beziehen. Der VdK fordert dabei einen Freibetrag von 251 Euro. Diesen Betrag dürfen bisher auch die behalten, die eine private oder betriebliche Rente haben.
Auch bei der Grundrente ist die Bundesregierung ……gefordert, nachzubessern und den Zugang zu erleichtern: Die Anzahl der Grundrentenjahre ist auf 30 abzusenken. Zudem müssen mehr arme Rentnerinnen und Rentner den Grundrentenzuschlag erhalten, indem auch Zeiten von Erwerbsminderung und Arbeitslosigkeit berücksichtigt werden.“
Quelle: PRESSEMITTEILUNG des VDK vom 5.4.23

In Deutschland erhalten Frauen durchschnittlich bis zu 46 Prozent weniger Rente als Männer – ein EU-weit einzigartiger Unterschied.

Rund 15% der Rentnerinnen und Rentner, die eine volle EM-Rente beziehen, sind auf Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung angewiesen. Dieser Anteil ist rund fünfmal so hoch wie bei den Altersrenten. Eine Anhebung dieser Renten auf ein Mindestsicherungsniveau oberhalb der Grundsicherung ist erforderlich.

Mit dem derzeitigen Regelsatz kommen Senioren kaum über die Runden. Hierzu das Beispiel Gesundheitsausgaben: Die liegen in einem Rentnerhaushalt durchschnittlich bei 107 Euro im Monat, wobei aber nur 17 Euro vorgesehen sind. "Da muß dringend nachgebessert werden", so Bentele.

Der Rentenreport  2023 des DGB Bayern:

Die Höhe der gesetzlichen Rente muss wieder auf 53% als Sicherungsziel angehoben werden. Die Rentensteigerungen haben analog zu den Lohnsteigerungen zu erfolgen. Langfristig ist die gesetzliche Rentenversicherung zu einer umfassenden Erwerbstätigenversicherung auszubauen, die alle einschließt. Der DGB fordert weiter, die vorhandenen Abschläge bei den Erwerbsminderungsrenten abzuschaffen. Ein verbesserter Arbeits- und Gesundheitsschutz in den Betrieben, flexiblere und sozial abgesicherte Übergänge in die Rente, sowie die Zurückdrängung von Niedriglöhnen und prekärer Arbeit sind weitere Forderungen, um die gesetzliche Rente zu stärken und damit auch Altersarmut zu vermeiden.

Die Forderungen des DGB Bayern im Einzelnen 

  • Beiträge für die Alterssicherung müssen paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmer*innen finanziert werden
  • zusätzlich eine tarifvertraglich vereinbarte und vom Arbeitgeber mitfinanzierte Betriebsrente
  • einen „Demografie-bedingten“ Steuerzuschuss zur Rentenversicherung
  • Instrumente der Gesundheitsprävention ausbauen und bedarfsorientierte Rehabilitation
  • weitere Verbesserungen bei den Erwerbsminderungsrenten
  • eine gute Rente und ein höheres Rentenniveau und eine starke Solidarität im Rentensystem
  • Beschäftigungszeiten mit geringen Beiträgen aufwerten
  • Rentenversicherung zur Erwerbstätigenversicherung weiterentwickeln
  • stark belastete Beschäftigte sollen zum frühestmöglichen Rentenbeginn ohne Abschläge in Rente gehen können
  • Teilrente ab 60 Jahren einführen
  • Beschäftigungsquote von Frauen und Migrant*innen verbessern
  • Tarifbindung signifikant gestärkt werden, sozialversicherte und tarifvertraglich geregelte Beschäftigung fördern
  • flexible Reduzierung der Arbeitszeit ermöglichen
  • Erhöhung des Mindestlohns

Quelle: https://bayern.dgb.de/themen/++co++73f8a864-a628-11ed-91b4-001a4a160123, S.33f.

Die Gewerkschaft VERDI lehnt die Umgestaltungen der gesetzlichen Rentenversicherung, einen Teil des Beitragsaufkommens kapitalgedeckt anzulegen, um aus den Erträgen künftige Beitragssatzsteigerungen ganz oder teilweise abzufedern, ab.
Ver.di fordert stattdessen, daß alles unternommen wird, um zu verhindern, daß das „Generationenkapital/die Aktienrente“ ein Einfallstor für eine beitragsfinanzierte Kapitaldeckung in der GRV wird.
Quelle: Verdi Sopo aktuell vom 5.4.23: Lindner

Bezüglich der derzeitigen Grundrente, die es seit 2021 gibt, fordert ver.di neben weiteren Maßnahmen zur Bekämpfung von Altersarmut die Abschaffung der Einkommensprüfung beim Grundrentenzuschlag sowie die Ausdehnung der Grundrentenbewertungszeiten auf Zeiten mit mindestens 0,2 Entgeltpunkten und Aufwertung auf bis zu 0,9 Entgeltpunkte.

Die Organisation ATTAC hat ein eigenes Konzept zur Alterssicherung vorgelegt.

Es wird ein Zwei Säulen-System vorgeschlagen, bestehend aus einer Basisrente, Säule I, die als Teil der Bürgerversicherung) folgende Leistungen umfasst:

Grundlegende Existenzsicherung im Alter für alle, die Altersramut verhindert

Finanziert wird dies durch eine Beitragserhebung auf Unternehmensebene auf Basis

− Personalausgaben (also incl. Vorstandsgehälter)
− plus Gewinn (vor Steuern und Zinsen)
− Entnahme aus dem Gesamttopf, vor individueller Aufteilung
− bei Selbständigen: Gewinn
– plus Beiträge aus den Einnahmen aus dem Ausland

und der Gesetzlichen Rentenversicherung (Säule II), zur Sicherung des Lebensstandards

durch Pflichtbeiträge für alle Erwerbstätige, also einschließlich Selbständiger / Beamte / Parlamentarier ohne Beitragsbemessungsgrenze.

Diese Rente ist wie bisher von der Beitragsleistung abhängig, aber niedrigere Beitragssätze möglich, da auf Basisrente aufsetzend.

Attac lehnt eine kapitalgedeckte Rentenversicherung ab, sie ist weder demografie- noch spekulationssicher.

Die Landeshauptstadt München fordert in den Erläuterungen zum Armutsbericht im Bereich der gesetzlichen Renten: „Die Grundrente beziehungsweise der Grundrentenzuschlag wäre grundsätzlich geeignet, um zumindest einigen Bürger*innen nach langjähriger Beschäftigung den Gang zum Sozialamt im Alter ersparen. Allerdings können die Bezieher*innen von Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII oder SGB II von dem gleichzeitig eingeführten Freibetrag in Höhe von derzeit maximal 224,50 Euro profitieren, der nahezu ausnahmslos den Grundrentenzuschlag bei weitem übertrifft. Obwohl sie deshalb hilfebedürftig bleiben und weiterhin Sozialleistungen erhalten, haben sie doch einen deutlich höheren Betrag zur Verfügung als vor Einführung der Grundrente.  … “. Quelle: Was sagt der Armutsbericht der Stadt München? S. 197 f.

„Die von der Bundesregierung im Koalitionsvertrag in Aussicht gestellte Förderung der privaten Altersvorsorge für untere Einkommensgruppen dürfte jedoch kaum geeignet sein, die Problematik zu lösen, daß nur wenige Geringverdiener*innen privat für das Alter vorsorgen. Aus Sicht des Sozialreferats ist weniger die Attraktivität der privaten Anlageprodukte ausschlaggebend. Vielmehr haben Geringverdiener*innen in München keinerlei finanziellen Spielraum für private Altersvorsorge. Insofern ist stattdessen dringend die gesetzliche Rente zu stärken und weniger auf die Eigenverantwortung dieser Personengruppe abzustellen.“ Quelle: ebd.  S. 208.

Stichwort Pflege im Alter ambulant und stationär

Aktuell schließen Pflegeheime bereits einzelne Stationen mangels ausreichender und qualifizierter Pflegekräfte, ein erster Schritt von Einschränkung. Als Schritt zwei folgt dann die Gefahr der Schießung der in Schieflage kommenden Einrichtung, weil sich die Einrichtung nicht mehr „rentiert“. Der Mangel an Pflegekräften ist ein innerdeutsches Problem, die ausländischen Anwerbeversuche weltweit, sind Ausdruck dieses verschlafenen Missstandes und ein Armutszeugnis. Sie sind jedoch nur ein Tropfen auf den heißen Stein – es geht um die Hebung der gesellschaftlichen Anerkennung der Pflegeberufe als ein elementarer Bestandteil der sozialen Reproduktion, auf den Standard z.B. von Ingenieursberufen mit Konsequenzen sowohl in der Vergütung, aber vor Allem auch den Arbeitsbedingungen: Planbarkeit der Arbeit und Freizeit, Fort- und Weiterbildung. Wenn in den nächsten Jahren von rund 1,7 Millionen in der Pflege Beschäftigten ca. 500.000 in Rente gehen, wird das Ausmaß des Problems noch offensichtlicher.700 Pflegekräfte aus Brasilien sind dabei eine völlig unzureichende Hilfe.

Zusätzlich entziehen wir anderen Ländern ihr Pflegepersonal, das zuhause gebraucht wird. Der Fachkräftemangel in diesem Gesellschaftsbereich wird massiv zunehmen und damit auch die Frage, wer das zukünftig bezahlen wird. Dies betrifft auch die ambulante Pflege zuhause, in der überwiegend Frauen rund 80% der zu pflegenden Menschen ehrenamtlich betreuen – der Staat duckt sich weg.  Mit 1000 € Landespflegegeld pro Jahr, wie aktuell in Bayern käme man da nicht mal einen halben Monat über die Runden. Es stellt sich dabei die Frage, was passieren würde, wenn es dafür eine angemessene Vergütung gäbe?  Der Staat käme seiner sozialen Verantwortung für die Daseinsvorsorge nach und die Akzeptanz des Berufsstandes Pflegepersonal erlebte eine höhere soziale Anerkennung.

Die DAK stellt zum Bereich Pflege folgende Forderungen auf:

„Kindererziehung, Angehörigenpflege und die Bekämpfung des Pflegenotstandes sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die ähnlich wie die Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung aus Steuermitteln finanziert werden müssen“, sagt Storm. „Eine faire, ordnungspolitisch gebotene Finanzierung setzt voraus, daß sowohl die Rentenversicherungsbeiträge pflegender Angehöriger, die Beitragsentlastung der Familien bei der Kinderzahl als auch die Finanzierung der Ausbildungskostenumlage aus Steuermitteln finanziert werden. Zusammen sind das 7,5 Milliarden Euro aus Bundesmitteln. Die verbleibende Finanzierungslücke von 6,5 Milliarden Euro müßte aus Beitragsmitteln geschlossen werden. Das ergäbe eine Beitragssatzanhebung um 0,4 Prozentpunkte.“

"Der allergrößte Teil der 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner können den Eigenanteil im Pflegeheim von 2.468 Euro nicht aus ihren Altersbezügen zahlen. An dem grundlegenden Problem ändert sich auch nicht im Laufe eines mehrjährigen Aufenthaltes. Pflegeheimbewohner werden somit finanziell massiv unter Wasser gedrückt. In den letzten fünf Jahren hat sich der bundesweite Eigenanteil um rund 40 Prozent erhöht. … Den bislang leeren Versprechungen der Ampel-Koalition müssen endlich Taten folgen. Jeder Betroffene braucht ab sofort 300 Euro monatlich mehr. Zudem ist der Inflationsausgleich unverzüglich einzuführen. Grundsätzlich gilt es, die Altenpflege komplett auf den Kopf zu stellen. Pflegebedürftige haben künftig einen festen Eigenanteil zu zahlen. Den Rest muß die Pflegeversicherung übernehmen. Das schafft Planbarkeit und Generationsgerechtigkeit für die Menschen."  (Stellungnahme von Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz zu den Zahlen der Ersatzkassen zur Kostenexplosion in den Pflegeheimen vom 19.01.2023).

Ähnlich positioniert sich auch das Kuratorium deutscher Altenhilfe (KDA) in einer Veröffentlichung am 2.3.2023, Reform für ein würdiges Alter: Der Vorsitzende, Helmut Kneppe, mahnt vor dem Hintergrund der Schließung von Senioreneinrichtungen sowie des aktuellen Streits um die Finanzierung der Pflegereform dringend einen würdigeren Umgang mit älteren Menschen an. „Die Würde des Menschen ist der Grundwert unserer Verfassung. Es ist der Leitgedanke, der die Organisation unserer Gemeinschaft, unseres Zusammenlebens tragen muß“, sagte Kneppe. 

„Es kann nicht sein, daß ältere Menschen Angst um ihr Dach über dem Kopf in einer Einrichtung haben müssen. Es darf nicht sein, daß betreuungsbedürftige Menschen mit der Frage leben müssen, kann ich mir Teilhabe, Pflege und Betreuung morgen noch leisten?“ ... „Würde ist auch ein Auftrag an staatliches Handeln.“  ... Wenn gerade über die Finanzierung der Pflegenovelle gestritten werde, „wenn wieder einmal nur notdürftig Löcher gestopft werden sollen, dann ist absehbar, daß ein würdiges Leben für viele betreuungs- und pflegebedürftige Menschen sehr bald nicht mehr gewährleistet werden kann“.... „Wir als Kuratorium Deutsche Altershilfe sehen uns verpflichtet, den Alarmknopf zu drücken und einen dringenden Notruf zu senden: Hilfebedürftigkeit und das Altern sind gesamtgesellschaftliche Aufgaben! ... Wir müssen Teilhabe, Betreuung, Alter und Pflege rasch neu organisieren und in die Mitte der Gesellschaft zurückbringen. Konkret bedeutet das eine verbreiterte Finanzierungsgrundlage und eine Demokratisierung. Soziale Verantwortung muß demokratisiert werden. Jeder sollte Verantwortung tragen, dafür sollten aber auch Beteiligungsformen geschaffen werden, die breite Mitbestimmungs- und Gestaltungsmöglichkeiten anbieten.“ Quelle: https://kda.de/notruf-fuer-ein-wuerdiges-alter/

Das Soziale Netz Bayern und verschiedene Landesverbände  erheben ebenfalls einzelne Forderungen:

Das Soziale Netz Bayern kritisiert die soziale Schieflage. Innerhalb eines Jahres habe die Armutsgefährdungsquote in allen Bereichen zugenommen. Besonders betroffen seien Frauen im Rentenalter und Alleinerziehende. Die Armutsgefährdungsquote bei Alleinerziehenden habe 2020 noch bei 35,1 Prozent gelegen, in 2021 waren es bereits 38,5 Prozent. Die nach wie vor hohe Inflationsrate verschärfe die materielle Armut zusätzlich. Das Bündnis Soziale Netz Bayern besteht aus 16 Verbänden, Organisationen und Institutionen fordert schnelle Hilfen.
Quelle: https://www.awo-bayern.de/aktuelles/aktuell/news/detail/News/sicherheit-in-der-krise-soziales-netz-bayern-praesentiert-gemeinsames-positionspapier-sozialer-zusam/

Diakonie Bayern

Die Diakonie hat einige Wochen nach Veröffentlichung des 5. Bayerischen Sozialberichtes Mitte 2022 eine eigene Bewertung vorgenommen. Der Bericht dokumentiere auf über 800 Seiten zwar viele positive Entwicklungen im Freistaat. „Unser Realitätscheck zeigt aber auch, daß wir uns davor hüten sollten, alles schön zu reden.“ Mit konkreten Vorschlägen und Forderungen wolle die Diakonie darum aufzeigen, wie es möglich ist, die Löcher zu stopfen, die das soziale Netz in Bayern immer noch hat.“
Quelle: https://www.diakonie-bayern.de/medien-publikationen-downloads/presse/meldung/nicht-alles-schoenreden.

Unter Anderem werden die Bereiche Überschuldung, Wohnen, Erwerbslose Menschen und Langzeitarbeitslosigkeit, Alter und Pflege, Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen im Detail untersucht. „Armut und Armutsgefährdung ist ein Phänomen, das durch die Energiekrise sowie die steigende Inflation der vergangenen Monate zusätzlich an Brisanz gewonnen hat. Immer mehr Menschen drohen trotz eines regelmäßigen Einkommens unter die Armutsgrenze zu rutschen und sind auf zusätzliche staatliche Transferleistungen sowie auf bürgerschaftliches Engagement (Tafeln, Kleiderkammern etc.) angewiesen.
Für die Diakonie Bayern bedeutet dies:  Die Situation der von Armut und Arbeitslosigkeit Betroffener wird auch in der politischen Debatte anerkannt, und das ohne verbale Stigmatisierung. Neben angemessenen Unterstützungsangeboten – insbesondere zur sozialen Teilhabe – wird der Zugang zu bezahlbarem Wohnraum auch in Ballungsräumen ermöglicht. Entsprechende Bauvorhaben bzw. Maßnahmen im Bestand werden besonders unterstützt und gefördert.“

Quelle: https://www.diakonie-bayern.de/ueber-die-diakonie/diakonie-in-bayern/zur-landtagswahl-in-bayern-2023

AWO Bayern

In einem Bericht "Arm in einem reichen Land – Armut auch in Bayern" hat der AWO Landesvorsitzende Prof. Dr. Thomas Beyer Definition, Ursachen und Kennzahlen aus Bayern zusammengetragen.
Quelle: https://www.awo-bayern.de/positionen/armut/

Ein Fazit

Auf Bundes- wie Landesebene hat die Politik allein im Sozial- und Gesundheitsbereich wie Pflege, Krankenhaus, Kitas, Schule und Bildung „Fachkräftemangel“, Erhöhung der Beiträge zur Pflege- und Krankenversicherung und und und, mächtig viele Baustellen, zu viele. Ein aktuelles Beispiel, wie in der Politik nicht zu Ende gedacht wird ist, die Ganztagsbetreuung, darauf wird es in wenigen Jahren vermutlich einen Rechtsanspruch geben. Wie soll dieser umgesetzt werden, angesichts des jetzt schon akuten Fachkräftemangels?

Zurückkommend auf die Ausgangsfrage des beleuchteten Themas „Gibt es Armut In Bayern und was müssen und können die Kommunen selbst tun?“ belegen die Ausführungen und Einschätzungen, dass es in der Tat viel zu tun gibt. Und die Städte und Gemeinden haben die Pflicht als die Orte, in denen die Menschen arbeiten und leben, sich aktiv und gestaltend einzubringen und konkrete Maßnahmen gegen Armut jeder Art zu ergreifen. Die Bezirke, Länder, der Bund und die EU haben sie dazu in die Lage zu versetzen. Hinzu kommt, dass es dabei auch zu einem Neu-Denken und Neu-Handeln im gesamten Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswesen kommen muß, sich wieder den ethischen und sozialen Fragestellungen mehr zu öffnen und die Fokussierung auf die Widersprüche der vorherrschenden profitorientierten Produktionsweise um die Widersprüche der damit verbundenen sozialen Reproduktion auszuweiten. Nur so wird ein Lösungsansatz für eine sozial gerechtere Gesellschaft denkbar und zukunftsorientiert umsetzbar.

Naheliegende Schlussfolgerungen – Empfehlungen für die verschiedenen Politikebenen ergeben sich auf Basis der ermittelten und dargelegten Fakten:

  • Eine Bürgerversicherung, in die Alle einzahlen, keine Zocker-Kaptialrente
  • Wiedereinführung der vollen Parität in der Krankenversicherung
  • Keine Anhebung des Renteneintrittsalters, 45 Beitragsjahre sind genug, wer weitermachen will, kann das auf freiwilliger Basis schon jetzt tun
  • Eine Mindestrente oberhalb der Grundsicherung, ohne Einkommensanrechnung
  • Anhebung der Mindestlöhne auf ein Niveau, das mindestens das Niveau der späteren Mindestrente erreicht
  • Ein einkommensabhängiges Landespflegegeld, das Pflegekosten abdeckt und Umstellung der Pflegeversicherung auf eine Vollversicherung
  • Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, Tarifbindung
  • Anhebung der Regelleistungen.

Teil I

TEil II

TEil III

 

Zum Thema

Bundesebene:

und Antwort der Bundesregierung, Deutscher Bundestag Drucksache 20/5673 vom 15.2.2023, https://dip.bundestag.de/vorgang/inanspruchnahme-des-kinderzuschlags/295346?f.wahlperiode=20&rows=25&pos=5

 

Literatur

Kein Ruhestand. Wie Frauen mit Altersarmut umgehen. Götz, Irene (Hg.): Antje Kunstmann Verlag, München

In einer Broschüre der Rosa Luxemburg Stiftung, argumente Nr. 18 mit dem Titel „«ES GIBT KEINE ALTERSARMUT IN DEUTSCHLAND!» setzen sich Holger Balodis und Dagmar Hühne detailliert mit insgesamt 11 Mythen und Fakten auseinander.

Entwicklung der Inflationsrate für Haushalte im Rentenalter, Studie unter Zuwendung vom FNA – Forschungsnetzwerk Alterssicherung, Berlin / Köln: Beznoska, Martin / Demary, Markus / Niehues, Judith / Stockhausen, Maximilian, 2023,

 Zu Bayern:

Consozial: Multidimensionaler Blick auf das Thema Wohnen unter sozioökonomischen Gesichtspunkten; https://www.consozial.de/de/events/vortrag/multidimensionaler-blick-auf-das-thema-wohnen-unter-soziokonomischen-gesichtspunkten/769038

Gesamtverband der Versicherer: Elf Millionen Haushalte können nicht genug fürs Alter sparen, https://www.gdv.de/gdv/medien/medieninformationen/elf-millionen-haushalte-koennen-nicht-genug-fuers-alter-sparen-85258

Bayerisches Landesamt für Statistik, Soziales; https://www.statistik.bayern.de/statistik/bildung_soziales/soziales/index.html

Bundesagentur: https://statistik.arbeitsagentur.de/Auswahl/raeumlicher-Geltungsbereich/Politische-Gebietsstruktur/Bundeslaender/Bayern.html;jsessionid=296F54D2D24CC7891D6CC5B97B7DE565?nn=25856&year_month=202301

Bundesagentur, Statistik Grundsicherung, https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Navigation/Statistiken/Interaktive-Statistiken/Grundsicherung/Grundsicherung-Nav.html

Österreichische Reichtumskonferenz 4. Reichtumskonferenz 17.10.2022, https://www.armutskonferenz.at/reichtumskonferenz-2022

  1. Österreichische Armutskonfererenz 23. - 25. Mai 2022, https://www.armutskonferenz.at/es-brennt