Wir beginnen unsere Auseinandersetzung mit der Kontroverse um die Glaubwürdigkeit von etablierten Medien. Eine immer wieder vorgetragene These lautet: Die «Mächtigen» – damit gemeint sind die politischen und wirtschaftlichen Eliten – haben einen direkten Draht zu den Medien und üben somit massiv Einfluss auf die Medienberichterstattung aus. Daher könne man den Medien nicht trauen. In ihnen würden nur diejenigen Themen behandelt und nur diejenigen politischen Positionen wiedergegeben, die der Aufrechterhaltung des Status quo dienen bzw. die Interessen der «Mächtigen» nicht gefährden. Die Gegenseite dieses Narrativs kann folgendermaßen zusammengefasst werden: Vertrauen in Medien ist gut und wichtig, denn Vertrauen in Medien (und damit ein gemeinsamer Informationspool) ist Grundpfeiler einer jeden pluralistischen, demokratischen Gesellschaftsordnung. Nur Massenmedien erlauben die Vermittlung von Informationen zwischen Bürger:innen und Politik. Beide Positionen – Medien als Sprachrohr der Eliten und Medien als zentrale Säule bzw. «vierte Gewalt» der Demokratie – bieten starke Deutungsangebote gesellschaftlicher Wirklichkeit. Weder das eine noch das andere Angebot entspricht jedoch der Realität.

Seit Jahrzehnten sind Wissenschaftler:innen damit beschäftigt, Medienvertrauen zu messen. Die Grundannahme ist, dass Misstrauen gegenüber Medien eher negativ zu bewerten ist. Die Quantifizierung des Verhältnisses von Medienkonsument:innen zu den Medien ist allerdings ausgesprochen schwierig. Trotz einer Reihe entsprechender Studien ist schwer zu bestimmen, was Medienvertrauen eigentlich ist. Vertrauen wir bestimmten Journalist:innen oder Moderator:innen, weil wir sie sympathisch finden? Vertrauen wir einer Zeitung oder einem Sender, weil wir sie schon immer lesen oder seinen Nachrichtensendungen von Kindesbeinen an folgen? Glauben wir alles, was diese berichten? Oder gehört es nicht zu unserer «Pflicht», kritisch zu hinterfragen, was uns als Medienrealität aufgetischt wird? Zur Beantwortung dieser Fragen sind wissenschaftliche Analysen mithilfe von Fragebögen und Experimenten nur bedingt hilfreich.

Das zeigt beispielsweise die sogenannte Mainzer Langzeitstudie zu Medienvertrauen aus dem Jahr 2020 (siehe hierzu Abbildung 1). Hier wurden Erwachsenen über 18 Jahren Fragen gestellt wie diese: «Aktuell wird in den Medien viel über die Corona-Pandemie, aber auch über den Klimawandel oder den Islam berichtet. Bitte sagen Sie mir, ob Sie den Berichten der etablierten Medien zu den einzelnen Themen überhaupt nicht, eher nicht, teils teils, eher oder voll und ganz vertrauen.»[1] Es wird nicht definiert, was «etablierte Medien» sein sollen. Einzelne Fernsehsender oder Radiostationen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, regionale oder überregionale Zeitungen, Wochenzeitungen? Die Zuordnung wird den Befragten überlassen. Damit bleibt unklar, welche Berichterstattung als vertrauenswürdig wahrgenommen wird. Ähnliches gilt für das Vertrauen in bestimmte Medienarten bzw. Quellen.

«Manche Menschen», so eine These derselben Studie, «halten bestimmte Medienangebote für vertrauenswürdiger als andere». Die Befragten sollen daher bewerten, wie vertrauenswürdig sie die Angebote des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, des privaten Fernsehens und des Internets finden.[2] Was aber sind die Medienangebote des Internets? Bestimmte Kanäle auf YouTube, Blogs oder Webseiten, auf denen bestimmte Journalist:innen und/ oder Bürger:innen schreiben? Die Webseiten großer Zeitungen und Zeitschriften, die oft eigene Online-Redaktionen haben? Die Unbestimmtheit verhindert eindeutige Erkenntnisse dazu, was oder wem hier vertraut bzw. misstraut wird.

Ein anderes Beispiel: Die Forschungsgruppe Wahlen stellte im Rahmen des ZDF-Politbarometers von November 2015 bis Oktober 2021 vierteljährlich immer dieselbe Frage: «Wenn es um die Berichterstattung in öffentlich-rechtlichen Fernsehsendern wie ARD und ZDF geht, ist dort Ihr Vertrauen, dass dort wahrheitsgemäß berichtet wird, sehr groß, groß, nicht so groß oder haben Sie gar kein Vertrauen?»[3] Wie ist es zu erklären, dass die Werte (sehr großes bzw. großes Vertrauen) zwischen 58 Prozent (Januar 2016) und 74 Prozent (Oktober 2020) doch erheblich schwankten? Und spricht ein doch eher großes bzw. sehr großes Vertrauen (die Werte lagen seit 2019 zwischen 66 und 74 Prozent) auch tatsächlich für eine hohe Qualität der Berichterstattung? Erhält man möglicherweise mit dieser Frage eher eine Antwort darauf, wie zufrieden die Befragten mit der Regierungspolitik waren?

Folgt man bestimmten demokratietheoretischen Ansätzen, so kann «blindes» Vertrauen (ob in Politik oder Medien) zudem nicht Ziel einer demokratischen Gesellschaft sein.[4] Denn Demokratie ist auf Debatten angewiesen, und Grundlage jeder Debatte ist ein kritisches Hinterfragen dessen, was uns als Bürger:innen (medial) geboten wird. In diesem Sinne ist Medienkritik (als Teil eines breiteren kritischen Bewusstseins) zentral für das Funktionieren einer Demokratie. Nur durch sie können informierte Bürger:innen qualifizierte Entscheidungen treffen.

 

Zweiter Auszug aus: Heiko Hilker, Jörg Langer und Mandy Tröger (2023). Glaubwürdigkeit von Medien und Medienvertrauen, in: Zwischen Anspruch und Auftrag. Die öffentlich-rechtlichen Medien in der Kritik, Luxemburg Beiträge, Berlin: Rosa-Luxemburg-Stiftung.

[1] Siehe z.B. Böckler Impuls 7/2005 («Kritisch, demokratisch, gut»), unter: www.boeckler. de/pdf/impuls_2005_07_demokratie.pdf.

[2] Herman, Edward S./Chomsky, Noam: Manufacturing Consent: The Political Economy of the Mass Media, New York 2002.

[3] Arlt, Hans-Jürgen/Storz, Wolfgang: Wirtschaftsjournalismus in der Krise. Zum massenmedialen Umgang mit Finanzmarktpolitik, hrsg. von der Otto Brenner Stiftung, Arbeitsheft 63, Frankfurt am Main 2010.

[4] Ebd.

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1. Teil: Medienkritik als Gesellschaftskritik – Eine Einleitung

3. Teil: Medienkritik als Gesellschaftskritik – Das Propagandamodell